In vielen Rollen unterwegs

Günter Wallraff, Journalist und Literat

Mit seinen Veröffentlichungen riskiert Günter Wallraff immer wieder Gerichtsverfahren, oft wurde sein Vorgehen - sich unter falschen Angaben einzuschleichen - kritisiert. Zuletzt deckte der heute 65-Jährige üble Praktiken der Call-Center auf.

"In meinen realen Rollenspielen gibt es satirische Elemente."

Mit 65 Jahren hat er sich jünger schminken lassen und das getan, was sich wie ein roter Faden durch sein Leben zieht: Um über die Arbeitsmethoden in der deutschen Arbeitswelt zu berichten, schlüpfte Günter Wallraff in die Rolle eines Call-Center-Mitarbeiters. Wieder einmal lösten seine Reportagen öffentliche politische Diskussionen aus und machten auf gravierende Missstände in der Arbeitswelt aufmerksam.

Durch Heinrich Böll unterstützt, begann Wallraff seine Rollenreportagen. Er arbeitete inkognito als Metallarbeiter in verschiedenen Betrieben und veröffentlichte seine Beobachtungen zunächst in der Gewerkschaftszeitung "Metall", 1970 erschienen die gesammelten Artikel unter dem Titel "Industriereportagen". Als Konsequenz gab es in vielen Unternehmen so genannte Wallraff-Steckbriefe, damit sich der Reporter nicht unerkannt in einen Konzern einschleichen konnte.

Getarnt recherchieren

Günter Wallraff arbeitete für die satirische Zeitschrift "Pardon", in der auch zunächst seine "13 unerwünschte Reportagen" erschienen, in denen er in die Rolle eines Obdachlosen schlüpfte, als Student ein Zimmer suchte oder sich als christlicher Unternehmer ausgab, der katholische Würdenträger dazu befragte, ob es mit dem Gewissen vereinbar wäre, Napalm zu produzieren und dieses an die Amerikaner für den Vietnamkrieg zu verkaufen.

Günter Wallraff, "der" deutsche Aufdeckungsjournalist und Schriftsteller, sorgte mit seinen Aktionen immer wieder für Aufregung - Diskussionen, ob sein Vorgehen ethisch zu rechtfertigen sei, und ob es überhaupt eine journalistische Tätigkeit sei, "mit geschlossenen Visier" sein "Gegenüber" zu "erforschen", begleiteten ihn. Wallraff sah seine Arbeit immer im Dienste des Rechts der Öffentlichkeit auf Information, und daher sei seine Methode der Tarnung legitim, um an Informationen und Beobachtungen zu kommen, die man sonst nicht erhalten würde.

Bis an die Grenzen gehen

Günter Wallraff sorgte nicht nur in der Bundesrepublik für politische Diskussionen und Kontroversen, 1974 protestierte er in Athen gegen die griechische Militärdiktatur und deren Vorgehen gegen politische Gegner. Wallraff, dessen Identität nicht feststellbar war, wurde festgenommen, gefoltert, und es wurde ihm der Prozess gemacht. Beim Prozess klagt er in seiner Verteidigungsrede die Militärdiktatur an.

Seine Aktion sorgt in Deutschland für große Diskussionen, man wirft ihm vor, dass es ihm vor allem um die Inszenierung der eigenen Person gegangen sei. Mit seinen Aktivitäten ging Wallraff, der sich selbst auch als ein "Spieler" sieht, immer bis an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit, und er ist stolz darauf, so erfolgreich gegen ein schweres Rückenleiden angekämpft zu haben, dass er nun wieder Marathonläufe bestreiten kann.

Wirkung auf die Wirklichkeit

"Viel war nicht nötig, um mich ins Abseits zu begeben, um zu einer ausgestoßenen Minderheit zu gehören, um 'ganz unten' zu sein." - In seinem Bestseller "Ganz unten" beschreibt Wallraff, wie er sich in die Rolle eines Außenseiters - des Türken Ali - begeben hat. Dazu gehörten dunkel gefärbte Kontaktlinsen, ein schwarzer Haarteil und ein Ausländerdeutsch: "Meine Verstellung bewirkte, dass man mir direkt und ehrlich zu verstehen gab, was man von mir hielt. (...) Ich war der Narr, dem man die Wahrheit unverstellt sagt."

Als Hans Esser arbeitete Wallraff als "Bild"-Reporter, um die Methoden der Bild-Zeitung zu recherchieren. Mit seinem Buch "Der Aufmacher. Der Mann, der bei 'Bild' Hans Esser war" wollte Wallraff "Wirkung auf die Wirklichkeit erzielen", so wie dies eines seiner Vorbilder, der russische Schriftsteller Sergej Tretjakow, getan hatte. Der Springer-Konzern verklagte Wallraff und führte eine groß angelegte Medienkampagne gegen ihn, und er wurde bespitzelt. Nach einer langen Kette von Prozessen wurde Wallraff vom Bundesgerichtshof freigesprochen, denn: Seine Berichte hätten "Fehlentwicklungen im Journalismus" aufgezeigt, und dies sei im Interesse der Allgemeinheit.

Schriftsteller oder Reporter

Ist Wallraff Journalist oder Literat? Der Germanist Leo Kreutzer beschreibt die immer wieder angesprochene Grenze in der Wallraff-Biografie von Jürgen Gottschlich so:

Literatur und Journalismus gehen in Wallraffs Reportagen sofort eine genaue Verbindung ein und verändern auf eine genaue Weise. Es ist der Journalist Wallraff, der dem Schriftsteller Wallraff auferlegt, eine Literatur der Fakten zu produzieren. Und es ist der Schriftsteller Wallraff, es ist Wallraffs Begriff von Literatur als Lebenszeugnis, der dem Journalisten Wallraff abverlangt, gesellschaftliche Zustände nicht bloß zu recherchieren, sondern sich ihnen als Betroffener, als Opfer, wenn nötig, persönlich auszusetzen.

Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 4. November 2007, 14:05 Uhr

Buch-Tipp
Jürgen Gottschlich, "Der Mann, der Günter Wallraff ist", Kiepenheuer & Witsch

Mehr dazu in oe1.ORF.at

Links
Kiepenheuer und Witsch - Günter Wallraff
Günter Wallraff