Den Bäumen in die Augen schauen
Johann Schopf
Nicht auf Startseite
8. April 2017, 21:58
Sich größer als ein Baum fühlen, über den Wipfeln schweben, frei und losgelöst, das waren Johann Schopfs Vorstellungen, als er seinen Baumkronenweg erfand. Und seine Idee ist voll aufgegangen, wie jeder Besucher heute erleben kann: Wir befinden uns in zwanzig Metern Höhe, mitten auf dem einen Kilometer langen Holzweg auf Pfählen, den der oberösterreichische Landwirt Johann Schopf in seinem eigenen Wald vor drei Jahren erbauen ließ.
Das Gefühl, hier oben zu stehen und kilometerweit über die Baumwipfel bis nach Bayern zu blicken, ist wahrlich erhebend. Tief atmen kann man hier, ganz ruhig wird man innerlich, wenn man das langsame Schwanken der Bäume im Wind spürt. Wer die Hand ausstreckt, kann die Tannenspitzen berühren und an den Zweigen riechen. Auf dem Wipfelweg aus rohem Holz kann man gut eine halbe Stunde lang lustwandeln.
Der Weg ist ein Abenteuer: Mal geht’s bergauf, mal bergab. Mal ist der Weg schmaler, mal öffnen sich kleine Inseln mit Bänken und Lehrtafeln, die über die Pflanzen und Tiere des heimischen Waldes informieren. In der Mitte des Weges steht ein eingezäuntes Trampolin, auf dem sich Kinder vergnügen. An den Wochenenden drängen sich hier oben die Besucher, mehr als zweitausend täglich wollen das Gefühl erleben, wie ein Riese die Baumkronen entlang zu schreiten.
Johann Schopf lehnt am Geländer und blickt in die Landschaft. Der Landwirt ist kein Mann großer Worte, sondern einer, der spürt und handelt. Niemand würde ihm ansehen, dass er das erfolgreichste nachhaltige Tourismusprojekt Oberösterreichs umgesetzt hat, indem er beharrlich seine außergewöhnliche Idee verfolgte und sich von keinen Unkenrufen abschrecken ließ.
Jetzt erst recht!
Wie er zu seinem Einfall kam, weiß er selbst nicht so genau. Er hat bereits als Kind am liebsten im Wald gespielt und immer schon um die Heilkraft der Bäume gewusst, Kraftplätze gefühlt und Wasseradern mit der Rute ausfindig gemacht.
Anfangs wurde sein Plan von allen belächelt: Ein hölzerner Weg auf Pfählen in zwanzig Metern Höhe, in einer verschlafenen oberösterreichischen Region, die keine Touristenseele interessiert, mitten in einem Wald, in dem niemand wandern will. Schopf erntete nur Kopfschütteln, als er mit seinem Projekt hausieren ging.
"Wer bitteschön sollt zu euch aufe foahrn, die Gegend is so unbekannt, das is nix b'sonders net", habe der oberösterreichische Tourismusverband zu ihm gesagt. Auch in Linz wurde er angeschaut, "wie wenn ma am Baum angrennt wären", als er um eine Finanzspritze ansuchte. Schopfs einziger Verbündeter war der Bürgermeister des Dorfes, schon als Kinder hatten sie zusammen im Wald gespielt. Er glaubte sofort an den Baumkronenweg. Zusammen ließen sie sich nicht entmutigen, auch nicht nach der Abfuhr in Linz: "Wir san dann aussegongen und ham gsogt, no, dia zeig mas oba jetzt!"
Ein Kran mitten im Wald
Schließlich gelang es Johann Schopf, das EU-LEADER-Komitee zu überzeugen, Geld aus dem Regionalentwicklungstopf für den Bau zur Verfügung zu stellen. Bereits eine Woche nach der LEADER-Zusage begann Schopf zu bauen.
Er realisierte das Projekt in seinem eigenen Wald, da konnte ihm niemand dreinreden. Das Projekt löste einen wahren Baustellentourismus aus, denn so etwas hatte die Welt noch nicht gesehen. "Des muaß ma sie vorstelln: Mitten im Wald steht a Kran ausm Wald ausse." Zu Ostern kamen bereits tausend Besucher pro Tag, bloß um diese einmalige Baustelle zu besichtigen.
Sturschädel statt Jasager
Entgegen allen Vorhersagen wurde der Baumkronenweg zum Überraschungserfolg. Die Eröffnung erfolgte im Juni 2005, und nach zwei Wochen hatten bereits mehrere tausend Besucher den Baumkronenweg bestiegen.
Das zur Anlage gehörige Gasthaus "Oachkatzl" ging durch eine harte Schule: Es musste von heute auf morgen mehrere hundert Besucher täglich bewirten. Zwischen dem Baumkronenweg und der Gaststätte hat Johann Schopf einen weitläufigen Spielplatz für Kinder gebaut, natürlich aus Vollholz.
Heute wird der Pfad von bis zu 200.000 Besuchern jährlich besucht. Dass der Landwirt seinen Traum so erfolgreich umsetzen konnte, hat auch mit seinem Sturschädel zu tun - Johann Schopf war nie ein Jasager. So hatte er im Rahmen einer Bürgerinitiative gegen die Errichtung einer Gaspipeline gekämpft, die mitten durch den Ort führen sollte.
Später protestierte er gegen eine die Landschaft verschandelnde 110-KV-Stromleitung der Energie AG. "Die is heit no net baut", stellt Schopf fest. "I woar imma scho einer, der nachdenkt und nicht alles hinnimmt." Als er den Baumkronenweg ersann, hatte er nicht nur seine Zukunft, sondern die der gesamten Region im Auge. "I hab vier Kinder. I hab mir denkt, wenn i immer das Gleiche mach, werden sie sagen: Papi, von dem werden wir nie leben können. Ich will meine Kinder und die Menschen in der Region halten. Mir geht jeder ab, der wegzieht."
Links
Baumkronenweg
LEADER
Download-Tipp
Radiokolleg, Pioniere der Regionalentwicklung, Montag, 5. November 2007 bis Donnerstag, 8. November 2007, jeweils 9:30 Uhr
Mehr dazu in oe1.ORF.at