Grenzen der Kommunikation
"Die Erleser" Brix & Seberg
Bereits zum zweiten Mal durchforsten der Schauspieler Gregor Seberg und der Kabarettist Werner Brix die Machwerke der Menschheit nach fatalen Irrtümern und peinlichen Fehlern. Das alles wird zu einer gnadenlosen Bühnenshow verarbeitet.
8. April 2017, 21:58
So klingt "Der Erlkönig" auf Japanisch
Ein Schauspieler und ein Kabarettist matchen sich um die Gunst des Publikums. Der eine mimt den Retter der sogenannten schönen, edlen Künste, der andre vertritt das vermeintlich seichte Unterhaltungsgewerbe. Als Gregor Seberg Schillers "Lied von der Glocke" vortragen will, reißt ihm Kollege Brix den Text aus der Hand. "5 Seiten? Das kürzen wir ab! Bim bam!"
Sprache und andere Künste
Respektlos wird Konventionelles zerlegt, zerpflückt und mit dem Aktenvernichter zerstört. Wer glaubt, dass Werner Brix und Gregor Seberg unter dem Titel "Die Erleser kommen" das verstaubte Genre der Dichterlesung wiederbeleben, der irrt. Dennoch dreht sich in diesem Doppel alles um Sprache, um Kommunikation und um deren Grenzen. Emotionen - so die Erkenntnis der beiden Hobby-Sprachwissenschaftler - können durch Worte nur schwer fassbar gemacht werden. Da haben es die anderen Künste schon leichter. Und so versuchen sich Brix und Seberg in ihrer Show auch als Maler und Musikanten. Wenn man sich dann am Ende des Abends die total voll geräumte und bekleckerte Bühne anschaut, könnte man meinen, man sei nicht im Kabarett sondern bei einem aktionistischen Spektakel zweier Gesamtkunstwerker gewesen.
Sprache allein ist begrenzt. Und Sprache kann missverstanden werden. Was dem Publikum gnadenlos demonstriert wird - mit der volkstümlichen Weise "Finger weg von meiner Musch". Wobei es sich dabei natürlich um ein Kätzchen handelt.
Die Forschungen der Herren Seberg und Brix führen aber auch weit zurück in die Vergangenheit. So können sie zum Beispiel mit neuen, Bahn brechenden Erkenntnissen zum Thema Höhlenmalerei aufwarten. "Das waren Vorläufer der Post-It-Zetterln. Ein aufgezeichnetes Mammut – damit wollte die Frau ihrem Mann sagen: Schatzi, ich hab das Auto."
Nachfolger von "FALT"
Zehn Jahre sind Werner Brix und Gregor Seberg einander nun schon freundschaftlich verbunden. 1997 standen sie in Niki Lists Film "Helden in Tirol" als Bürgermeistersöhne vor der Kamera, 2005 starteten sie dann ihr erstes gemeinsames Bühnenprojekt FALT, das "fucking austrian lesetheater". "Wir lesen alles" hieß das erste Programm, gefolgt nun vom zweiten Streich "Die Erleser kommen".
"Wenn Erlöser mitschwingt bei dem Wort Erleser, ist das gut so" erklärt Gregor Seberg im Interview. "Wir wollten ursprünglich zwei Jesi – ist das die Mehrzahl von Jesus? – also zwei Gekreuzigte darstellen, die vom Kreuz heruntergeklettert sind, um der Welt ihre Frohbotschaft zu bringen." Denn in den Schriften der Menschen lauern angeblich Gefahren, die die meisten gar nicht erkennen. Als selbsternannte Erlöser kredenzen Seberg & Brix dann aber doch auch wahrlich erlesenes, bewährtes Kulturgut, etwa eine Ballade von Goethe, die allerdings - zur Steigerung der dramatischen Wirkung - simultan ins Japanische übersetzt wird.
Publikums-Activity
Nicht nur die Fremdsprachen-Kenntnisse der Akteure, auch die Geistesgegenwart der Zuschauer wird im Programm "Die Erleser kommen" getestet. Fixpunkt auf der bunten Spielwiese des Mimen und des Kabarettisten: Publikums-Activity. Mussten im letzten Programm Buchtitel erraten werden, so sind diesmal Märchen zu erkennen, die Brix und Seberg ganz ohne Worte und nur mit Hilfe eines Rettichs und einer Karotte darstellen. Das Theaterpublikum spielt gegen die Kabarett-Anhänger. Wobei das Schauspielpublikum zumeist in Führung geht, weil Sebergs pantomimische Darbietungen einfach viel simpler sind, als die bewusst vertrackten des Kollegen Brix.
"Werner sagt immer ich bin die Frau und er ist der Mann. Das stimmt! Ich bin eher der Chaot, er hat Struktur. Wir kokettieren natürlich mit diesen Klischees."
Was beim BAWAG-Prozess verschwiegen wird
Der Theatermensch Gregor Seberg, derzeit auch als TV-Kommissar in "SOKO Donau" im Einsatz, und Werner Brix, mehrfach preisgekrönter Kabarettist, sind in der Tat ein ideales, weil bühnenwirksames Paar. Die böseste Nummer des Abends ist zugleich eine der originellsten und macht hörbar, was beim BAWAG-Prozess auf der Anklage-Bank nobel verschwiegen wird. Unter dem Motto: "Was Elsner und Flöttl einander immer schon sagen wollten" werden zur rhythmisch-sanften Bolero-Klängen die bösesten Beleidigungen ausgetauscht.
Prominente Körperteile
Schließlich kann man mit Brix und Seberg auch noch ins Innere eines männlichen Körpers reisen, wo man auf viele, alte Bekannte trifft. Hans Moser ist als Galle zu erleben, Otto Schenk als Nervenkostüm, Marcel Reich-Ranicki als Hirn, Bruno Kreisky als Prostata, Eva Glawischnig ist eine Rippe und zugleich die einzig weibliche Opposition, und Oskar Werner spielt das beste Stück des Mannes. Dass der mit Potenzproblemen zu kämpfen hat, ist bei dieser parodistisch doch recht abgenützten Besetzung wenig erstaunlich. "Da häng ich nun, ich armer Tor, und bin so schlaff als wie zuvor."
Poesie und Profanes, tiefen Sinn und höheren Unsinn, mischen Seberg und Brix zu ihrem heiter-absurden Happening. Manchmal verzetteln und verblödeln sich die beiden Improvisations-Künstler in allzu privaten Exkursen; freilich erklären sie auch das kühn zum Konzept. Aber alles in allem ist "Die Erleser kommen" ein gewohnt souveränes Doppel mit schrägen musikalischen Einlagen. Also lassen sie sich erlesen!
Hör-Tipp
Contra, Sonntag, 9. Dezember 2007, 22:05 Uhr
Veranstaltungs-Tipp
Gregor Seberg & Werner Brix, "Die Erleser kommen", 17. Dezember 2007, Theater am Alsergrund, 11., 18. und 19. Dezember 2007, Spektakel Wien
Links
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