Helden - oder doch nicht?
Der schwere Kampf der Carla del Ponte
Carla del Ponte, Chefanklägerin des UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY), verlässt das Tribunal nach acht Jahren schwieriger Arbeit. Von allen Seiten waren ihr ständig Steine in den Weg gelegt worden.
8. April 2017, 21:58
Glaubt man den offiziellen Aussagen und Äußerungen von Personen der Weltpolitik, so widmen sich diese mit vollem Herzen den Menschenrechten und ihrer Einhaltung. Eines der Instrumente, die diesen Aufgaben dienen sollte, ist das UN-Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien in Den Haag. Das Tribunal aber wurde schon von Anfang an mit unglaublichen Hürden konfrontiert, die nicht nur aus den Ländern, aus denen die Verdächtigten stammten, gestellt worden waren, sondern es wurden die Wege des Tribunals auch mit den pragmatischen Zielen der Weltpolitik gekreuzt.
"Frieden und Sühne"
In einem vor kurzem in Frankreich erschienen Buch "Paix et Châtiment" ("Frieden und Sühne") stellte die ehemalige Pressesprecherin von Carla del Ponte, Florence Hartmann, den politischen Druck, der von den Großmächten auf das Tribunal ausgeübt wurde, dar. Obwohl man sich von einer Insiderin mehr erwartet hat als generalisierende Behauptungen über den Einfluss und die Verantwortung der Großmächte, lassen ihre Bemerkungen doch einen bitteren Nachgeschmack aufkommen.
Die Local Heroes
Die andere Seite der Verantwortung, die Hartmann in ihrem Buch völlig offen gelassen hat, nämlich die Schuld der "durchschnittlichen" Menschen aus der in den Kriegen verwickelten Ländern, spielten eine beträchtliche Rolle in den Greueltaten, die während der Zusammenstöße passierten. Ein großes Manko des Tribunals liegt daran, dass man den Menschen aus dem Gebiet sehr wenig über Selbstverantwortung und Vergangenheitsbewältigung mitgebracht hat.
Die Verdächtigten und sogar die schon wegen der Kriegsverbrechen angeklagten Personen gelten in ihren Ländern als "Volkshelden" und genießen noch immer ein großes öffentliches Ansehen. Einer von den wichtigsten Kriegstreibern aus Serbien, Vojislav Seselj, gegen den in Den Haag der Prozess gerade läuft, ist in seinem Land noch politisch aktiv. Seine Mitbürger stört die allgemein bekannte Teilnahme seiner paramilitärischen Einheiten in den grausamsten Geschehnissen des Krieges offensichtlich nicht.
Eine Vorweihnachtsjagd
Ein kroatischer General, dem das Warten auf seinen Prozess auf freiem Fuß erlaubt wurde, ist laut einigen kroatischen Medien angeblich bei einer Vorweihnachtsjagd auf Wildschweine gesehen worden. Laut Tribunalregeln sollte er jetzt die restliche Zeit bis zum Prozess in Haft verbringen. Dass der General überhaupt auf freiem Fuß ist - unter der Bedingung, dass er seinen Wohnort nicht verlassen darf und keinen Einfluss auf die Zeugen ausübt -, hat die Republik Kroatiens hart erkämpft. Zur Pikanterie dieser Geschichte gehört auch, dass der kroatische Innenminister Ivica Kirin selbst bei der Jagd dabei war.
Zwischen den Mühlen
In diesen Zuständen, zwischen der Förderung der "großen Politik" und dem mangelnden politischen Bewusstseins des "kleinen Menschen", sollte Carla del Ponte ihre schwere Arbeit leisten. In einer sehr kurzen Zeit hat sich die Chefanklägerin des Den Haager Tribunals zu einer der meist gehassten Persönlichkeiten entwickelt. Ihre Hartnäckigkeit in der Suche nach den Kriegsverbrechern, unabhängig von welcher Seite, und ihre "Taubheit" für die Bedürfnisse der Weltpolitik brachten ihr den Ruf ein, eine Dame zu sein, mit der "sehr schwer zu arbeiten" ist.
Anderseits haben die Regierungen und die Menschen der in den Kriegen verwickelten Parteien das Tribunal offiziell anerkannt, und unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft konnten sie sich gegen das Tribunal öffentlich nicht äußern. Sie haben dann einen ausgezeichneten Sündenbock in der Person der Anklägerin Carla del Ponte gefunden. Ihre Beharrlichkeit gegenüber den Verdächtigten gab den Medien viel Stoff, um die ganze Verantwortung auf sie zu schieben.
Das Ende einer wichtigen Institution?
Das Ende ihrer Amtsperiode in Den Haag könnte einige folgenschwere Auswirkungen haben. Es könnte ein Zeichen für das Ende des Tribunals sein. Carla del Ponte wollte die Liste der Verdächtigen und der Angeklagten immer weiter ausbauen. Sie drohte mit neuen Prozessen und mit der Verlängerung des Tribunals, das bis Ende 2010 vorgesehen ist. Ihre Anforderungen sind mit hohen Kosten und großem Aufwand verbunden. Man hört, dass ihre "hartnäckige Fixierung" zur Verlangsamung der Integrationsprozesse der Region führt. Man vergisst dabei, dass eine Nicht-Verarbeitung der Geschichte die Gefahr in sich trägt, die Geschichte in ihren grausamsten Folgen neu zu erleben.
Der Verdienst von Carla del Ponte
Unabhängig davon, ob das Kriegsverbrecher-Tribunal in Den Haag sein Arbeit weiter durchführen wird, ein Verdienst der "Hartnäckigkeit" von Carla del Ponte ist ohne Zweifel die Tatsache, dass die heutigen und zukünftigen Kriegstreiber doch annehmen können, dass ihre Taten einmal von einem Gericht, egal wo, verurteilt werden können. Mag sein, dass dieses Tribunal seine Ansprüche nicht zur Gänze erfüllt hat, aber man hofft, dass ähnliche Gräueltaten doch ihren Richter finden werden und dass die Menschen der betroffenen Staaten das zu schätzen wissen. Carla del Ponte hat damit ihre Pflicht erfüllt.
Buch-Tipp
Florence Hartmann, "Paix et châtiment", Flammarion
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