Architektur ist primär gedankliche Verdichtung

lichtblau.wagner architekten

Im März gibt Turn On im Wiener Radiokulturhaus wieder einen Überblick zur Architekturszene Österreichs. Die Präsentationen werden durch den Turn On Talk ergänzt. Thema ist die Zeit von 1968 bis 2008. Wir haben dazu die Vortragenden um Statements gebeten.

Andreas Lichtblau und Susanna Wagner bilden seit 1987 ein Team. Geschäftsumbauten, Privathäuser und öffentlicher Wohnbau prägen ihr Werk. Das diskursive Element der Architektur unterstreichen sie bestimmt, wenn sie etwa auf ihrer Website schreiben: "Wir gehen davon aus, dass herkömmliche Grundrisse als Abbild festgefahrener Strukturen in Frage gestellt sind", doch gebe es einen offiziellen Typus Wohnungen, der von gemeinnützigen Bauträgern oder der Gemeinde Wien zelebriert werde, Abweichungen davon würden nur in geringstem Ausmaß toleriert und realisiert. Was lichtblau.wagner über die Zeit von 1968 bis 2008 sonst noch denken, lesen Sie im Folgenden.

Was muss Architektur aus Ihrer Sicht leisten?
architektur ist primär die gedankliche verdichtung - im sinne von dichtkunst - also die beobachtung und analyse aller faktischen, emotionellen und symbolischen aspekte, die von einer bauherrschaft ausgesprochen oder unausgesprochen thematisiert werden. die inhaltliche arbeit von lichtblau.wagner architekten definiert sich durch die - vor allem sprachliche - analytische und diskursive annäherung an ein thema, im dialog mit den klienten und innerhalb des büros.
wesentliches moment dieser phase ist das erfragen, das erforschen und ausloten von jenen themen, die hinter den vordergründigen raumprogrammen, funktionsdiagrammen und räumlichen anforderungen stehen.
unser anliegen ist es, genau diese verdichteten, ephemeren aspekte in eine räumliche struktur zu transponieren, wobei durch die sprachliche annäherung zu beginn, die formale ausprägung ergebnis und reaktion auf diese ersten analytischen schritte sind. dadurch ist auch sicher gestellt, dass die formalen aspekte nie in den vordergrund rücken, sondern lediglich einen rahmen und einen hintergrund für die emotionalen bis funktionalen parameter darstellen.
durch das prozedere des aufzeichnens, des auslotens des räumlichen konzeptes am modell und an skizzen, wird diese transposition in richtung architektur oder besser raumbildung, weiter neutralisiert, sodass kein individueller formwille die themen, die uns gestellt sind, überlagert oder beeinträchtigt.

Fühlen Sie sich in Ihrer Entwurfsarbeit frei, Ihre Kreativität zu entfalten, oder sehen Sie sich überwiegend äußeren Zwängen unterworfen? Wenn ja, welchen?
es gibt äußere umstände, äußere anforderungen, wir würden diese jedoch nie mit dem negativen wort "zwang" beschreiben.
unsere kretivität liegt darin, die analyse der uns gestellten anforderungen so zu formulieren, dass die von uns vorgeschlagene lösung - die in ihrer mehrschichtigkeit präzise und eindeutig und ohne varianten ist - selbstverständlich und plausibel wirkt.
ob die projektanforderungen ökonomisch oder kontextuell definiert sind hat dabei keinerlei bedeutung.
wenn ein solches objekt - eine soziale und emotionale skulptur in räumlicher form - fertig gestellt ist, haben wir das ziel, dieses gebäude zu verlassen und es seinen nutzern überlassen zu können.
wir waren dann für eine zeit lang die dolmetscher in der übersetzung der notwendigkeiten, der wünsche und träume unserer klienten, die sich nun in den räumlichen und ephemeren wirklichkeiten wiederfinden, in dem gefühl, etwas aus sich heraus entwickelt zu haben.

Gibt es so etwas wie eine "68er-Architektur" aus Ihrer Sicht, und wenn ja, welches wäre ihr herausragendes Beispiel?
das friendly alien in graz, das ja eine verspätete nachwirkung der offenen und anregenden diskussion bis in die 80er jahre ist und jetzt in fast obszönem anachronismus zur gegenwärtigen kultur des architekturschaffens zählt. herausragend auch insofern, als bei diesem imageträger kosten nur eine untergeordnete rolle spielten.

Wo sehen Sie die großen Kontinuitäten von 1968 bis heute, wo die Brüche?
einen kontinuierlichen bruch sehen wir in der situation des wohnbauschaffens bis in die gegenwart, wo themen und inhalte nach wie vor nicht ernsthaft abgefragt werden, sondern lediglich bildhafte und skulpturale oberflächlichkeiten. wien ist ja in kontinuität die stadt der ornamentalen oberflächen.

Konnte sich die Kreativität vor vierzig Jahren freier entfalten oder wird diese Zeit im Nachhinein verklärt?
die diskussionsqualität auf den hochschulen und unter den architekten war, zu unsrer studienzeit viel offensiver und interessierter, nicht zuletzt auf grund der damals besseren wirtschaftlichen situation (der architekten) und des geringeren konkurrenzdruckes. selbstverständlich liegt dem auch zugrunde, dass von seiten institutionalisierter bauherrschaften, etwa der öffentlichen hand, wesentlich offenere und interessiertere fragen (bei wettbewerben) gestellt wurden als heute. heute zählt lediglich die kommerzialisierbare und quantifizierbare abwicklung der bauten, kaum noch forschende und innovative konzepte.
man mag diesen status quo gelassen als wirklichkeit akzeptieren, oder es als kulturellen verlust sehen.

Karriere und Vermarktung spielen heute eine wichtige Rolle. Steht dies der Kreativität von Architekt/innen entgegen?
ja.

Spielen vergangene Entwicklungen und Traditionen für Sie als Architekt eine Rolle, oder dominieren Ihre Arbeit Fragen der Gegenwart?
alle fragen der gegenwart tragen die vergangenheit und für unseren teil auch die zukunft in sich. dies sehen wir besonders unter dem verständnis, dass tradition gerade nicht das konservative festhalten an altem ist, sondern dieser begriff das fortschreiben von vorgefundenem oder bereits entwickeltem in die gegenwart und die zukunft bedeutet. das weiterentwickeln von typologien ist unserer arbeit immanent.

Was würden Sie gerne entwerfen/bauen, wenn Sie keinen äußeren Zwängen unterworfen wären?
wie aus dem zuvor beschrieben hervorgeht: gar nichts.

... sich einlassen auf ein thema,
sich ihm ausliefern
um formulierungen zu finden.
bilder, vielleicht zeichen,
aus denen ein nachdenken entsteht
über inhalte.
räume, deren impulse reaktionen fordern,
stellungnahme.
architektur als versuch,
durch präzise formulierungen
möglichkeiten für vielfältiges beleben
zu finden, aktion zu provozieren ...
... eingriffe, die nicht
sich selbst zum ziel und inhalt haben,
sondern basis und hintergrund darstellen
für leben
in verschiedenen urbanen ausformungen...