Ein Gegenentwurf zum neuen Kapitalismus
Richard Sennett im Gespräch
Die Tätigkeit des bekannten Theoretikers und Soziologen Richard Sennett konzentriert sich im Wesentlichen auf zwei soziale Fragen: Wo Menschen leben und wie sie arbeiten. In seinem neuen Buch "Handwerk" plädiert er für die Versöhnung von Mensch und Arbeit.
8. April 2017, 21:58
Wann ist der Politiker ein guter Handwerker?
Der bekannte amerikanische Theoretiker Richard Sennett lehrt Soziologie und Geschichte an der London School of Economics und an der New York University. Seine Publikationen gelten als kulturhistorisch wegweisend, sein Buch "Fleisch und Stein" als Standardwerk.
Als nachdrückliches Plädoyer für eine Versöhnung von Mensch und Arbeit kann seine neueste Veröffentlichung betrachtet werden.
Michael Kerbler: Sie beschreiben in Ihrem neuen Buch "Handwerk" die menschlichen Möglichkeiten engagierten Tuns. Damit schließen sie eigentlich auch den Beruf des Politikers in den Stand der Handwerker ein. Ist es zulässig, die Politiker als Handwerker zu bezeichnen?
Richard Sennett: Das ist eine sehr interessante Frage, weil das englische Wort "Craftsman" eine ganz andere Bedeutung hat "Handwerker" auf Deutsch. Beim so genannten Craftsmanship geht es traditionell um hohe Qualität und Engagement, wobei der deutsche Begriff "Handwerker" lediglich bedeutet, dass man mit den Händen arbeitet.
Im Englischen sprechen wir vom Staatshandwerk, dass es kluge Wege gibt Politik zu machen, die sich durch eine hohe Qualität auszeichnet und von engagierten Menschen gemacht wird - das würden wir Handwerk nennen. Nun, warum gibt es diesen Unterschied? Es ist nicht einfach ein sprachlicher Unterschied. Es stammt von zwei sehr unterschiedlichen Formulierungen der Aufklärung.
Für die Aufklärung im nördlichen Europa, in der Zeit von Kant und Moses Mendelssohn, rangierte das Verstehen an erster Stelle vor der Praxis. Das heißt, wir müssen ganz genau wissen was wir tun bevor wir es tun. Die sozusagen südliche oder westliche Aufklärung, oder besser gesagt die französische und englische Aufklärung hat vor allem auf die Praxis Wert gelegt, also auf die Beschäftigung mit einer konkreten Aktivität und das Verständnis, das daraus entstanden ist. Man hat nicht vorher verstehen müssen was man macht - man hat es herausgefunden.
Unsere Tradition steht der wissenschaftlichen Forschung viel näher - Ihre ist der Philosophie ähnlicher. Unsere Tradition betont die Erläuterung von Handlungen und die Bedeutung von materieller Beschäftigung. Ihre deutsche Tradition hat mehr mit Idealismus zu tun und ist deutlich weniger materialistisch. Das Erscheinen meines Buches auf Deutsch ist für mich sehr interessant, weil sich die Diskussionen meistens um den Buchtitel drehen. Das ist nicht unbedingt wichtig, aber es zeigt wie diese kulturellen Unterschiede über zweieinhalb Jahrhunderte andauern und wie schwierig es für uns ist über dieses Thema zu reden.
Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 16. Juli 2009, 21:01 Uhr