Die Irrungen und Verwirrungen eines Sängers
Erstaune mich!
Marko Perkovic Thompson gilt als der populärste Sänger Kroatiens. Seine "Heimatlieder" begann er als Kämpfer im Krieg für die Unabhängigkeit Kroatiens zu singen. Wofür er damals gefeiert wurde, wird ihm heute zum Verhängnis.
8. April 2017, 21:58
Der kroatische Sänger Thompson hat sich schon außerhalb seiner Heimat einen Namen gemacht - allerdings nicht mit seinem Gesang, sondern mit - wie man das heute gerne sagt - Kontroversen, die seine Auftritte begleiten. Wegen angeblicher "faschistischer" Aufmachung und Äußerungen, die auf seinen Konzerten zu sehen und hören sind, wurden seine Auftritt mehrmals in Europa verboten und sie waren Inhalt von mehreren journalistischen und politischen Kommentaren.
Die problematischen Absagen
Es schien, dass es im allgemeinen patriotischen Siegesrausch der Erfolge bei den olympischen Spielem - nicht nur in Kroatien - keinen Platz für den musikalischen Aufschrei gibt. Thompson gelingt es jedoch immer wieder, sich ins Zentrum der kroatischen Öffentlichkeit zu setzten. Sein angekündigter Auftritt in der römischen Arena in Pula (Istrien) wurde abgesagt. Diese Absage führte in Kroatien zu heftigen Diskussionen über die "künstlerische und politische Freiheit" im freien, nicht mehr "sozialistischen" Kroatien. Man wirft der "linken" istrischen politischen Führung, ein Beschränkung der Aussagen und Auftritte vor, die sich von ihrer "restkommunistischen" Einstellung unterscheidet. Sie beantwortet wieder ihre Entscheidung mit der Erklärung, dass in Istrien keine "faschistischen" Versammlungen erwünscht seien.
Thompson selbst und seine Anhänger behaupten immer, dass es in seinen Liedern nur um die Liebe für Kroatien und seine glorreiche Geschichte geht. Er singt über die Heimat, Gott und die großen Taten der kroatischen Helden. Dass von Zeit zu Zeit jemand das Zeichen des kroatischen Regimes während des Zweiten Weltkrieges trägt und mit faschistischen Grüßen daherkommt, ist nicht seine Schuld, meinte sich der Sänger. Man geht sogar so weit zu behaupten, dass diese Vorfälle – möglicherweise - von Provokateuren herbeigeführt wurden.
Das Konzert in Cilipi
Am südlichen Ausläufer Kroatiens hat am 14. August 2008 das Konzert von Thompson ohne jegliche Probleme stattgefunden. Cilipi, ein pittoreskes Dorf, ist nach dem Flughafen von Dubrovnik benannt. Die Ortschaft liegt etwa 30 Kilometer von der Altstadt der "Perle der Adria", wie man Dubrovnik gerne nennt, entfernt.
Noch 40 Kilometer Fahrt und man ist in Montenegro. Berge trennen diesen Teil Kroatiens von Bosnien-Herzegowina. Obwohl das Meer nur ein paar Kilometer hinter der niedrigen Bergkette ist, hat man das Gefühl, dass der Flughafen tief im Binnenland liegt. Nur am starken mediterranen Duft in der Luft spürt man, dass man in der Nähe der Adria ist. Die ganze Gegend und die Stadt Dubrovnik selbst wurden im Krieg 1992-95 von den Einheiten der jugoslawischen Armee angegriffen und teils okkupiert. Es gibt fast keine Familie, die keine Verwandten haben, die getötet oder verwundet wurden. Eine starke Abneigung, fast Hassgefühle gegenüber den Montenegrinern und Serben, die in Nachbarnländern leben, ist noch immer zu spüren. Man würde erwarten, dass ein Konzert von Thompson in dieser Gegend alle kontroversen Erscheinungen, die laut Medien seine Konzerte begleiten, hier zu finden wären.
Publikum von Jung bis Alt
In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts hat der amerikanische Theaterkritiker und Publizist John Lahr sein Buch "Astonish me" ("Erstaune mich") veröffentlicht. Der Autor analisierte einige Spektakel, wie zum Beispiel Rockkonzerte und Boxkämpfe, und meinte, dass diese Veranstaltungen sehr stark mit theatralischen Elementen arbeiten. Letztendlich kam Lahr zum Schluss, dass diese Ereignisse "die beste Theater-Erscheinung unserer Zeit" (damals in den 70ern) ist. Sie hätten alles, was ein Theater haben muss: eine "theatralische" Dramaturgie und eine außergewöhnliche Gegenwirkung zwischen der Ausführenden und ihrem Publikum, so Lahr.
Das Konzert von Thompson in Cilipi unter dem Titel "Es war einmal in Kroatien" war für 22: Uhr angesetzt. Alle Elemente, die Lahr erwähnt hat, waren hier zu finden. Schon gegen 20:00 Uhr sammelten sich langsam die Menschen auf dem schönen Platz vor der Kirche. Alles ist gut organisiert und man spürt gleich, dass man auf alle möglichen Vorkommnisse vorbereitet ist. Viel Polizei und Security in schwarzen T-Shirts ist überall zu sehen. Es scheint, dass ihre Präsenz niemanden stört. Um 21:00 Uhr ist der alte Platz schon voll.
Ein großes Plakat hängt auf einem Haus neben der Bühne: "Ich danke Gott, dass ich ein Kroate bin". Man sieht kein einziges verdächtigtes Symbol. Auf der Bühne ist ein großes Schwert, das schon ein (erlaubtes) Markenzeichen von Thompson ist.
Die Spannung steigt und die Vorstellung (das Konzert) kann anfangen. Ein Mann kommt und gibt dem Publikum bekannt, dass die Polizei Videoaufnahmen des Platzes während des Konzertes machen wird. Dieses Material könnte als Beweis vor Gericht verwendet werden. Die Menschen quittieren diese Ansage mit dem Beifall.
Thompson spulte, könnte man sagen, sein Konzert routiniert ab. Die Menschen, unter denen viele ganz junge Kinder und alte Leute sind, stört das nicht. Alle singen mit ihm die Texte über die Geschichte Kroatiens und seine Helden. Eine Mischung von Heavy Metal, Hard Rock und Ethno fallen bei allen auf fruchtbaren Boden. Die einfachen Refrains können alle auswendig. John Lahr würde sicher diese Einheit jener auf und jener vor der Bühne loben. Die Menschen sind zufrieden. Man kann sogar sagen, dass sie eine Katharsis auf diesem Konzert erlebt haben.
Wo sind die Grenzen?
Fazit: Thompson braucht keine verdächtigen Symbole und unerwünschte Parolen, um sein Publikum zu begeistern. Dass es hier nicht um "reine" Musik geht, ist auch klar. Die ganzen Geschehnisse entwickelten sich tatsächlich im Rahmen der Politik.
Die Grenzen der Heimatliebe und Thompsons Äußerungen sind sehr "elastisch". Was man heutzutage bei Sportübertragungen hört, unterscheidet sich nicht wesentlich von Thompsons Liebe zu Kroatien. Man hört überall über den "Teamgeist", "Helden" (Sport), Siegen und Niederlagen. Die Sportkommentatoren brüllen außer sich, wenn ein Tor, Korb oder irgendetwas fällt. Die Rekorde feiert man als sichtbaren Beweis "unserer" besten nationalen Eigenschaften. Und niemand kommt auf die Idee, den begeisterten Journalisten zu beruhigen.
Es scheint, dass John Lahr noch heute aktuell ist. Der Sport und die Konzerte Thompsons berauschten (und verwirren auch manchmal) die Menschen noch immer. Was in Ordnung und was nicht in Ordnung ist, ist sehr schwer zu entscheiden.
Buch-Tipp
John Lahr, "Astonish Me", Penguin (Non-Classics)
Link
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