Erstarkte Großmachtpolitik

Die Demokratie und ihre Feinde

1992 veröffentlichte Francis Fukuyama sein Pamphlet "Das Ende der Geschichte". Robert Kagan brachte nun gewissermaßen das Gegenstück zu diesem Klassiker des Geschichtsirrtums heraus: seine Ansichten zur aktuellen weltpolitischen Lage.

Die Rückkehr zur Machtpolitik alter Prägung und die Wiederkehr ideologischer Konflikte sind dem Kolumnisten und Politikberater Robert Kagan ein deutliches Indiz: Geschichte ist nicht vorbei. Der Jubel der Demokraten und Wirtschaftsliberalen kam zu früh. Großmachtnationalismus und Autokratie schlagen zurück - und stellen freiheitliche Gesellschaften auf eine harte Probe. "Wir sind in ein Zeitalter der Gegensätze eingetreten", glaubt Kagan.

"Die Geschichte ist zurückgekehrt, und die Demokratien müssen sich zusammentun, um sie zu gestalten - sonst werden andere dies für sie tun", ist Kagan überzeugt und liefert in seinem von Ernüchterung und Skeptizismus geprägten Essay zunächst eine politische Bestandsaufnahme.

Neue Großmächte

Da ist zum einen Russland, eine von Revanchismus, Nationalismus und der Sehnsucht nach alter Größe geprägte Macht, die, so Kagan, "noch sehr weitgehend eine traditionelle Macht des 19. Jahrhunderts ist und die alte Machtpolitik praktiziert" - und sich anschickt, "die europäischen Nationen gegeneinander auszuspielen".

Da ist zum anderen China, nicht nur eine rapide sich entwickelnde Wirtschaftsmacht, sondern auch eine wachsende Militärmacht, die daran interessiert sei, strategische Grenzen zu erweitern und mit steigendem Selbstbewusstsein "nicht mehr, sondern weniger Toleranz für die Hindernisse auf ihrem Weg" aufzubringen bereit ist.

Da ist schließlich Indien - ein drittes Beispiel dafür, dass "Handel und Globalisierung das Großmachtstreben einer Nation nicht etwa eindämmen, sondern im Gegenteil erst anstacheln können", meint Kagan. "Seit 1991 betont Indien nicht mehr die 'Macht des Arguments', sondern das 'Argument der Macht'", zitiert der Autor den indischen Außenpolitik-Spezialisten Raja Mohan.

Und da sind schließlich das von antiwestlichen Ressentiments geprägte autoritäre Regime des Iran und nicht zuletzt der radikale Islam, der mit seinem Ziel der Herstellung einer von Gott verfügten Ordnung im krassen Gegensatz steht zu Moderne und Demokratie.

Comeback der Autokratien

Robert Kagan malt nicht das Schreckensszenario eines kommenden Krieges und auch nicht das eines neuen Kalten Krieges, glaubt aber sehr wohl an politische Konflikte aus dem Geist einer wieder erstarkten Großmachtpolitik. Er sieht ein Comeback der Autokratien. Dass die Ausweitung von Handel und Wohlstand automatisch zu mehr Liberalismus führe, sei ein Trugschluss unserer Zeit. Sei doch gerade das Land der Mitte "ein Argument für die erfolgreiche Kombination aus zunehmend offener Wirtschaft und geschlossenem politischem System". Vor dem Hintergrund des chinesischen, aber auch des russischen Erfolges wirke heute das autokratische Modell "wie die bessere Wahl".

Robert Kagan, der neokonservative Vordenker und amerikanische Regierungsberater, hat in seinem umstrittenen letzten Buch "Macht und Ohnmacht. Amerika und Europa in der neuen Weltordnung" einen grundsätzlichen Unterschied zwischen der alten und der neuen Welt diagnostiziert: "Amerikaner sind vom Mars und Europäer von der Venus", schrieb Kagan. "Sie stimmen in wenigen Dingen überein und verstehen einander immer seltener." Europa, so Kagan, verabschiede sich von der Machtpolitik und vertraue auf eine Politik der Gesetze und Institutionen, Kants Traum vom ewigen Frieden träumend, Amerika dagegen sei nach wie vor von der Notwendigkeit der Demonstration von Macht und militärischer Gewalt überzeugt.

"Aggressive Weltpolitik" der USA

McCain-Parteigänger Kagan hält den Amerikanern Nationalismus, Expansionsdrang und "universelles Sendungsbewusstsein" vor. "Kaum war der Kalte Krieg vorbei, stürmten die USA vorwärts." Diese "expansive, ja aggressive Weltpolitik" entschuldigt er freilich durch die Tradition der amerikanischen Außenpolitik, die seit jeher eine der Einmischung und Alleingänge gewesen sei, davon überzeugt, zur "weltweiten Sachwalterin der demokratischen Prinzipien" berufen zu sein. Europa wiederum ist dem Autor zu defensiv und auf "soft power" fixiert.

Mit dieser - laut Kagan - "postmodernen" Einstellung sei man nicht unbedingt gut gewappnet für Konflikte mit autokratischen Systemen. "Weder institutionell noch mental ist Europa auf geopolitische Spiele der Art vorbereitet, wie sie Russland in seinem nahen Ausland zu spielen gedenkt", glaubt Kagan. Die Lösung liegt für ihn in einer Art Schulterschluss zwischen Europa und Amerika.

Wunsch nach "Bund der Demokraten"

Robert Kagans Buch überzeugt weniger durch geniale Ansätze und Vorschläge, als durch knappe, solide Analysen: Plausibel und realistisch wirken die Einschätzungen der aktuellen Entwicklungen und weltpolitischen Kräfteverhältnisse. Ohne ein Geschäft mit der Angst zu betreiben, sieht Kagan doch Grund zur Besorgnis - und propagiert eine Stärkung der "Achse der Demokratie", um dem "Club der Autokraten" gewappnet zu sein. Wie das funktionieren soll, bleibt offen.

Kagan spricht von neuen Instrumenten und Institutionen, die geschaffen werden müssten. Schließlich habe der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen wiederholt seine Wirkungslosigkeit bewiesen - er sei "hoffnungslos paralysiert". Aber wer sagt, dass ein neues Instrument besser funktioniert? Kagan hinterfragt den amerikanischen Hegemonialanspruch, um schließlich doch an der Führungsrolle der USA festzuhalten. Aber kann ein Land, das im Namen von Freiheit und Stabilität Völkerrechtsverletzungen begeht, eine moralische Überlegenheit gegenüber autokratischen Systemen beanspruchen?

Kagan spricht von der Rückkehr der Geschichte und dem Ende der Träume - und träumt selbst davon, ein "globales Konzert oder einen Bund der Demokraten ins Leben zu rufen". Auch ein nüchterner Realpolitiker neokonservativer Fasson braucht manchmal Visionen. Es muss ja nicht gleich die vom Ende der Geschichte sein.

Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr

Buch-Tipp
Robert Kagan, "Die Demokratie und ihre Feinde. Wer gestaltet die neue Weltordnung?", aus dem Amerikanischen übersetzt von Thorsten Schmidt, Siedler Verlag