Für den freien Handel
Verteidigung der Globalisierung
Die Globalisierung ist nicht mehr aufzuhalten, lasen wir in den letzen 15 Jahren sehr oft in der Zeitung. Die Globalisierung ist schlecht, erklärten Kritiker. Der indische Ökonom Jagdish Bhagwati hält mit seinem neuesten Buch dagegen.
8. April 2017, 21:58
Von der Globalisierungskritik fühlt sich Jagdish Bhagwati belästigt. Sie möchte er mit seinem fast 500 Seiten schweren Werk entkräften. Bhagwati ist Freihandelsbefürworter. Er plädiert also für freien Handel, freien Güter- und Dienstleistungsverkehr und für freien Verkehr von Arbeit.
Er argumentiert diese Einstellung unter anderem anhand der Theorien des Nationalökonomen David Ricardo aus dem Jahr 1817. Aus dieser Sicht lohnt sich der unbeschränkte Außenhandel für alle Länder auch für jene, die weniger entwickelt sind und daher nur weniger wertvolle Produkte herstellen können oder Kostennachteile haben, denn jeder ist auf etwas spezialisiert, so die Annahme von David Ricardo.
Zwei Gruppen Globalisierungskritiker
Das Ricardianische Modell ist aber längst nicht mehr State of The Art. So verwundert es, dass ein sich selbst als links beziehungsweise Mitte-links bezeichnender Ökonom den Freihandel auf Biegen und Brechen verteidigt. Gleich am Anfang seines Werks teilt er die Globalisierungskritiker in zwei Gruppen: in hartgesottene Protestierer und in jene, die glauben, Globalisierung sei die Ursache verschiedener sozialer Missstände. Nicht nur politisch linksorientierte Menschen, würden die Globalisierung kritisieren, so Jagdish Bhagwati.
Unternehmensfeindliche Einstellungen hegen auch viele Menschen, die keine fleißigen Leser linker Literatur sind. Bei den einen herrscht der nahe liegende Eindruck vor, dass die multinationalen Konzerne die Haupthandlungsträger und - Nutznießer des Kapitalismus und der Globalisierung sind; andere finden den Gedanken plausibel, dass multinationale Unternehmen in einer Weltwirtschaft ohne einheitliche gesetzliche Regelungen zwangsläufig böse agieren müssen, denn dadurch seien die Unternehmen in der Lage, Gewinne zu machen, indem sie die günstigsten Orte für die Ausbeutung von Arbeitern und ganzen Ländern aufspüren, während sie gleichzeitig ihre Heimatstaaten unerträglich dahingehend unter Druck setzen, Fortschritte in der Sozialgesetzgebung wieder abzuschaffen.
Diese unternehmensfeindlichen Argumente, so Bhagwati weiter, basierten nicht auf Tatsachen, denn multinationale Konzerne würden gar nicht niedrige Löhne bezahlen, sondern höhere als die ortsansässigen Unternehmen.
Gegen freien Finanzkapitalismus
Jagdish Bhagwati liefert Freihandelsbefürwortern ein Argument nach dem anderen: Die Armut in Entwicklungsländern würde durch internationale Konzerne nicht verschärft, sondern gelindert, Kinderarbeit reduziert, Frauen unterstützt, die Demokratie ausgeweitet, die Kultur bereichert und die Umwelt gar nicht so stark verschmutzt, wie immer behauptet.
Einzig für den freien Finanzkapitalismus ist der indische Ökonom nicht. Den Unterschied zwischen Freihandel und freiem Kapitalverkehr erklärt er anhand eines einfachen Beispiels: "Wenn ich Zahnbürsten besitze und Sie haben Zahnpasta und wir tauschen, dann haben wir beide etwas davon. Es ist unwahrscheinlich, dass bei diesem Tausch unsere Zähne ausgeschlagen werden. Normalerweise ist Handel für alle Beteiligten förderlich, aber den Finanzsektor sollte man eher mit Feuer vergleichen. Es hilft zwar dabei, das Öl für ein Wiener Schnitzel zu erhitzen, aber es kann auch zu einem Hausbrand führen. In der Ökonomie nennt man das Marktversagen, und regulatorische Eingriffe sind notwendig."
Schon im Jahr 1998, unmittelbar nach dem Ausbruch der Asienkrise, hatte Bhagwati vor dem Ungleichgewicht zwischen Freihandel und freiem Kapitalfluss gewarnt. Durch die jüngsten Ereignisse an den Finanzmärkten fühlt er sich in seiner Haltung bestätigt, denn Finanzmärkte funktionieren anders als die Realwirtschaft, so Jagdish Bhagwati: "Das Voraussehbare passiert nie, es tritt immer das Unerwartete ein. Das ist natürlich übertrieben, dennoch können wir so nicht weitermachen."
Das "menschliche Antlitz"
Jagdish Bhagwati begann an seinem Buch "Verteidigung der Globalisierung" im Jahr 1999 zu schreiben, als sich die Welthandelsorganisation zu einer neuen Runde multilateraler Handelsgespräche traf und es zu heftigen Demonstrationen kam. Der Globalisierung fehle es an menschlichem Antlitz, erklärten die Demonstranten. Bhagwatis Buch ist die Antwort auf diesen Vorwurf und sie lautet: Die Globalisierung fördert im Großen und Ganzen die Lösung sozialer Probleme, die Globalisierung hat ein menschliches Antlitz. Als Beispiel führt Jagdish Bhagwati etwa Frauen in Japan an.
In Japan war die für Frauen undurchdringliche Glasdecke so niedrig, dass sie kaum aufrecht stehen konnten! Wenn man nach Japan kam, stellte man fest, dass die Japanerinnen entweder Hausfrauen waren oder männlichen Führungskräften, die sämtliche Gespräche und Verhandlungen führten, Tee servierten. Als die japanischen multinationalen Konzerne Ende der 1980er Jahre in großer Zahl ins Ausland gingen, blieben die Führungskräfte natürlich immer noch männlich. Ihre Frauen, die in New York, Rom, Paris und London lebten, sahen aber plötzlich, dass westliche Männer ihre Ehefrauen anders behandelten und dass die Frauen im Westen auch im Geschäftsleben und in anderen Berufen Aufstiegsmöglichkeiten hatten. Das machte sie bei ihrer Rückkehr zu einflussreichen Vertreterinnen des gesellschaftlichen Wandels.
Umstrittene Argumentation
Ob die Emanzipation japanischer Frauen ein geeignetes Beispiel für die Verbesserung sozialer Umstände ist, darüber lässt sich streiten. Überhaupt sind viele Argumente Jagdish Bhagwatis äußerst umstritten. Er wirft mit Namen und Zitaten nur so um sich. So müssen Rainer Maria Rilke, David Hume, Rosa Luxemburg und Shakespeare himself herhalten. Der deutsche Ex-Politiker Joschka Fischer schrieb das Vorwort zur deutschen Ausgabe und nennt das Buch "anregend". Das mag schon sein, aber "Verteidigung der Globalisierung" ist keineswegs von vorne bis hinten konsistent und schon gar nicht logisch argumentiert.
In den Kapiteln, die der besseren Gestaltung der Globalisierung gewidmet sind, findet man durchaus interessante Überlegungen. All jenen, die sich ein breiteres Bild der Materie machen wollen, sei Jagdish Bhagwatis Buch in Kombination mit Joseph Stiglitzs "Schatten der Globalisierung" oder Amartya Sens Werk "Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft" empfohlen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Jagdish Bhagwati, "Verteidigung der Globalisierung", Pantheon Verlag