Schriftsteller und der Erste Weltkrieg
Propaganda und Patriotismus
Am 11. November 1918 ging der Erste Weltkrieg zu Ende. Der "heldische Kampf" hatte in einem Massensterben geendet. Zu Kriegsbeginn hatte es nur wenige österreichische Schriftsteller gegeben, die nicht in die allgemeine Kriegsbegeisterung einstimmten.
8. April 2017, 21:58
Mit der Unterzeichnung des Waffenstillstandes durch Österreich-Ungarn am 3. November 1918 und durch Deutschland am 11. November 1918 wurde der Erste Weltkrieg beendet, der Millionen von Menschen das Leben gekostet hatte, der zu einer breiten Verelendung der Bevölkerung geführt und eine radikale Umgestaltung der politischen Landkarte Europas mit sich gebracht hatte.
Begonnen hatte die Katastrophe am 28. Juni 1914, als in Sarajevo der österreichische Thronfolger, Erzherzog Franz Ferdinand, erschossen wurde. In den darauf folgenden Wochen wurden in Österreich-Ungarn rund 8,5 Millionen Mann für den Militärdienst mobilisiert. Das waren an die 75 Prozent der männlichen Bevölkerung zwischen 18 und 50 Jahren.
Das "Glück dieses Augenblicks"
Am 16. August 1914 veröffentlichte der Dramatiker Hermann Bahr, als 51-Jähriger nicht mehr kriegsdienstpflichtig, in Wiener und Berliner Zeitungen einen offenen Brief an seinen um elf Jahre jüngeren Schriftstellerkollegen Hugo von Hofmannsthal:
Ich weiß nur, dass Sie in Waffen sind, lieber Hugo, doch niemand kann mir sagen, wo. So will ich Ihnen durch die Zeitung schreiben. Vielleicht weht's der liebe Wind an Ihr Wachtfeuer und grüßt Sie schön von mir. Jeder Deutsche, daheim oder im Feld, trägt jetzt die Uniform. Das ist das ungeheure Glück dieses Augenblicks. Mög' es uns Gott erhalten! Glückauf, lieber Leutnant!
Bahrs Brief enthält all jene Motive, die im Sommer 1914 hoch im Kurs standen: den Stolz des Soldatentums, die Wachtfeuerromantik, das Bekenntnis zum Deutschtum. Aber nicht nur deshalb nahm Karl Kraus den Text in sein Weltkriegsdrama "Die letzten Tage der Menschheit" auf (1. Akt, 19. Szene), sondern vor allem, weil es dem militärbegeisterten Hofmannsthal, der in den Jahren vor dem Krieg wiederholt Kurse für "Nichtaktive Offiziere der k. und k. Armee" besucht hatte, gelungen war, auch nach dem Ausbruch des Krieges "nichtaktiv" zu bleiben - zumindest was den direkten Einsatz an der Front betraf, denn Hofmannsthal leistete den von ihm wiederholt bejubelten "großen Dienst am Vaterland" im Wiener Kriegsfürsorgeamt ab.
"Kriegsoperette" im Theater an der Wien
Eine anderer beliebter "Einsatzort" für Schriftsteller war das Wiener Kriegspressequartier. In dieser Propagandastelle des Kriegsministeriums war eine ganze Gruppe von Literaten tätig, die - meist durch lnterventionen an höherer Stelle - vom Frontdienst freigestellt worden waren: so etwa Franz Theodor Csokor, Felix Saiten und Franz Karl Ginzkey.
Ihre Tätigkeit war Teil einer umfassenden Propaganda, in deren Dienst sich auch Theater, Operette, Zirkus und Variete stellten. So etwa eröffnete das "Theater an der Wien" am 19. Oktober 1914 die neue Spielsaison mit einer "Kriegsoperette". "Gold gab ich für Eisen" lautete, dem aktuellen Zeitgeist entsprechend, der Titel des Werkes. Viktor Léon, berühmt durch sein Libretto zur Operette "Die lustige Witwe", hatte das Textbuch geschrieben, die Musik stammte von Emmerich Kalman. Der Inhalt: ein bereits tot geglaubter Offizier kehrt unter beschwingten Melodien vom Schlachtfeld zurück und zeigt damit dem Publikum, wie glücklich so ein Krieg ausgehen kann.
Ein besonderes "Gustostückerl" bot im Dezember 1914 das Wiener Apollo-Varietétheater: es war eine Posse mit dem Titel "Einquartierung", gespielt von Hunden in Uniform.
Welle der Kriegsbegeisterung
Dass 1914 niemand zum "patriotischen Dichten" gezwungen wurde, beweisen einige - wenn auch relativ wenige - Gegenbeispiele: so etwa Arthur Schnitzler, Alfred Polgar, Franz Werfel, Stefan Zweig und Karl Kraus. Doch viele andere renommierte Autoren schwammen begeistert auf der allgemeinen Welle der Kriegsbegeisterung mit - nicht zuletzt auch deshalb, weil der Krieg für diejenigen, die bereit waren, sich an der offiziellen Propaganda zu beteiligen, auch materielle Vorteile brachte.
Zu den bestverkauften Kriegsanthologien gehörte der 1916 in Graz erschienene "Steirische Waffensegen" mit Texten von Peter Rosegger und Ottokar Kernstock. Rosegger appellierte darin, teilweise in Mundart, an den patriotischen Stolz seiner Landsleute:
's Büabl von steirischn Landl, haut topfer fürs Vodalond zua, und wer sih dem Feind nit vor d Nosn traut, der is ka steirischa Bua.
Ottokar Kernstock, Schriftsteller und katholischer Priester, gab sich in seinen Texten wesentlich aggressiver:
Steirische Holzer, holzt mir gut, mit Büchsenkolben die Serbenbrut!
Verbale Mordlust
Kriegseuphorie und verbale Mordlust nahmen bei manchen der "patriotischen Dichter" nahezu pathologische Züge an - so etwa beim katholischen Arbeiterdichter Alfons Petzold. Er, der noch zu Beginn des Jahres 1914 in dem Band "Der heilige Ring" vehemente Antikriegsgedichte veröffentlicht hatte, präsentierte bereits im September 1914 eine den geänderten Zeitumständen in bedrückender Weise angepasste Publikation: den Gedichtband "Krieg". Dieser ist von einer - auch für die damalige Situation ungewöhnlichen - verbalen Mordlust geprägt. So etwa schrieb Petzold:
O, dass ich könnte jetzt in jeder Kugel sein, die fröhlich zischend ein rotes Menschenherz grüßt!
Weltweit starben zwischen 1914 und 1918 8,5 Millionen Menschen auf dem Schlachtfeld. Alfons Petzold wurde aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Militärdienst verpflichtet. Seine Leser allerdings feuerte er an:
Österreicher und Deutsche heraus! Lasst sterben das Feuer auf dem Herd. Nun fresse sich unser doppeltes Schwert ein Stück Himmel aus höllischem Graus.
Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 7. November 2008, 22:15 Uhr