Der Doyen der österreichischen Wirtschaftswissenschaften
Kurt Rothschild, Wirtschaftsdenker
Nein, Kurt Rothschild ist nicht mit der Bankiersfamilie verwandt. Er ist 94 Jahre alt und höchst aktiv als Ökonom. Er reist, er schreibt E-Mails, er diskutiert in Wirtschaftskreisen, er publiziert und er arbeitet als Konsulent.
8. April 2017, 21:58
Kurt Rothschild wurde 1914 in Wien geboren, emigrierte während des Nationalsozialismus nach Glasgow, kehrte aber danach zurück nach Wien, wo er am österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitut arbeitete. Er war Gründungsprofessor der Universität Linz und bildete dort Generationen von Wirtschaftswissenschaftern aus. Unter Ihnen Ewald Nowotny, heute Gouverneur der Nationalbank, Herbert Walther, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, Peter Mooslechner, Chefökonom der österreichischen Nationalbank, Christoph Matznetter, Staatsekretär im Finanzministerium, Christoph Leitl, Präsident der österreichischen Wirtschaftskammer, Josef Falkinger, Dekan der Universität Zürich. Eine Liste, die sich noch lange fortsetzen lässt.
Der ehemalige Leiter des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts, Helmut Kramer, bezeichnete Kurt Rothschild zu dessen 90. Geburtstag als einen der wenigen weisen Ökonomen und sich selbst als "Rothschildianer".
"Weisheit ist eine Dimension, die über Wissenschaft hinausgeht und in sehr starkem Maße eine Art Sympathie für die Schwächen und Anfälligkeiten von Situationen von Menschen widerspiegelt. Ich glaube, er gehört zu den wenigen Ökonomen, die auch in ihren fachlichen Darstellungen sehen, dass der Mensch eben Launen unterworfen sein kann, dass Unklarheiten bleiben. Er lässt auch zu, dass seine Analyse unvollständig ist und dass manches ungeklärt bleiben muss", sagt Helmut Kramer.
Wichtige und unwichtige Fragen
So lautet der Titel eines Buches über die Persönlichkeit und das Wirken von Kurt Rothschild. Es war und ist ihm wichtiger, echte Probleme zu sehen und auf sie aufmerksam zu machen, als in abstrakten Modellen an der Wirklichkeit vorbei zu theoretisieren. Etwa zeigte Rothschild auf, dass Macht ein wichtiges Phänomen in der Wirtschaft ist. Das gilt auf den unterschiedlichsten Ebenen.
"Geld ist Macht, das weiß doch jeder. Ohne Geld ist es schwer, etwas zu erreichen. Und in der aktuellen Finanzkrise ist es so, dass die großen Bankkonzerne versucht haben, Geld gewinnbringend zu veranlagen, indem sie Kredite vergeben haben, die sie nicht hätten vergeben dürfen. Aber sie hatten genügend Macht, um ein so brüchiges System zu schaffen", erklärt Kurt Rothschild.
Arbeitslose, gibt es die?
Der 1914 geborene Kurt Rothschild wuchs nach dem Ersten Weltkrieg in einer Zeit auf, als Not und Elend, Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit herrschte. Er hat gesehen, dass einfache Lösungen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Probleme schreckliche Folgen haben können - etwa den Faschismus. "Arbeitslose, gibt's die?" war der Titel eines Artikels, den Kurt Rothschild 1978 veröffentlichte. Es war eine Antwort auf marktgläubige Theoretiker wie Milton Friedman, die der Welt erklärten, dass Arbeitslose ja bloß gerade auf der Suche nach einer neuen Stelle und daher allesamt freiwillig arbeitslos seien.
"Man hatte quasi eine alte Weisheit vergessen. Dass es unfreiwillige Arbeitslosigkeit gibt, war ja für alle Ökonomen mit Hausverstand offensichtlich, aber es gab einen ausgeklügelten neoklassischen Apparat, der das Phänomen wegdefinieren wollte. Dagegen ist er aufgetreten. Das war ein bisschen wie bei "Des Kaisers neue Kleider": auf einmal wurde eine sehr raffinierte und gut ausgearbeitete Theorie als Nonsens entlarvt", berichtet Rothschilds ehemaliger Universitätsassistent Ewald Nowotny, der heutige Gouverneur der österreichischen Nationalbank.
"The Grand Old Man"
Die Finanzkrise wird naturgemäß in Ökonomenkreisen heiß diskutiert, etwa im hochkarätig besetzten Wiener Wirtschaftskreis, dem der heute 94-jährige Kurt Rothschild nach wie vor angehört.
Wenn der "Grand Old Man" der österreichischen Wirtschaftswissenschaften spricht, lauscht die Runde der Experten gebannt. Diese Krise sei anders, als etwa die Krisen in Argentinien oder in der Sowjetunion. Zum ersten Mal haben wir eine Finanzkrise in einer globalisierten, liberalisierten Welt, erklärt Kurt Rothschild.
"Wir leben in einem Prozess, den wir nicht ganz durchschauen - keiner! Wenn es immer wieder gelingt, irgendwo ein Loch zu stopfen, können wir vielleicht einigermaßen unbeschädigt herauskommen."
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 19. Jänner bis Donnerstag, 22. Jänner 2009, 9:30 Uhr