Ein Wirtschaftssystem, aufbauend auf kreativer Arbeit
Neustart statt Depression
Ein zentraler Konflikt unserer Zeit ist, laut dem britische New Economy Guru Charles Leadbeater, der zwischen denen, die Ideen mit anderen teilen und zusammenarbeiten wollen, und jenen, die eifersüchtig ihre Ideen und immateriellen Güter bewachen.
8. April 2017, 21:58
"Ideen wachsen, indem wir sie mit anderen teilen und neue Ideen entstehen aus Gesprächen zwischen Menschen", so Charles Leadbeater. In seinem neuen Buch "We-Think, The Power of Mass Creativity", deutsch "Wir-Denken, die Macht der Massenkreativität" widmet sich der britische New Economy Guru der kollaborativen Kultur des Internet.
Mit der Digitalisierung der Kultur ist es sehr einfach geworden, digitale Kopien etwa von Musikstücken herzustellen und zu verbreiten. Durch die Verfügbarkeit freier Musik im Netz ist das auf Copyright beruhende Geschäftsmodell der Musikindustrie im Kern bedroht, sagt Felix Stalder, Dozent für Medienökonomie an der Hochschule für Gestaltung Zürich.
Er meint, das Problem sei nicht das Netz, sondern das Festhalten an einem einseitigen Geschäftsmodell. Nicht die Musikindustrie insgesamt sei in der Krise, sondern nur jener Teil von ihr, der auf das Herstellen und Verbreiten von Kopien spezialisiert ist. Nur wer wie die von Google gekaufte Videoplattform YouTube selbst über eine Armee von Anwälten verfügt, könne sich einen riskanten Umgang mit Copyright im Internet leisten, erklärt Felix Stalder. Dieser Umstand droht zum Innovationshemmnis zu werden.
Wirtschaftskrise als Chance
In der aktuellen Wirtschaftskrise sieht Charles Leadbeater eine Chance für einen ökonomischen Paradigmenwechsel. Auf der einen Seite seien Rezessionen schlecht für Kreativität, weil es kein Geld zu investieren gibt. Andererseits gebe es mehr Nachfrage nach Leuten, die neue und vor allem preisgünstige Wege finden, um Dinge zu tun, meint der New Labour Berater.
"Ich würde also während dieser Rezession erwarten, dass mehr Leute Dinge wie Skype, Spotify oder Open Source Software benutzen, und sich Unterhaltung und Nachrichten aus dem Web holen. Aus dem heraus werden neue Geschäftsmodelle entstehen und zu dem Zeitpunkt, wenn wir aus der Rezession herauskommen, wird es eine neue Welle Web-basierten Unternehmertums geben."
Neustart und nicht Depression
Auch der amerikanische Ökonom Richard Florida zeigt sich angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise, ausgelöst durch den Crash des Finanzsystems, visionär. Er sieht die Chance, ein auf kreativer Arbeit aufbauendes Wirtschaftssystem zu etablieren. "Ich spreche von Reset, also Neustart und nicht Depression."
Ein solcher Reset habe etwa 1873 stattgefunden, aufgrund der Transformation von der Agrar- zur Industriegesellschaft. "Damals haben die Leute die industrielle Ökonomie noch nicht verstanden", so der Professor für Business and Creativity an der University of Toronto. "Heute fehlt den Politikern komplett das Bewusstsein, dass die Stärke unserer Wirtschaft im kreativen Potential der Menschen liegt."
Neue Märkte und Bedürfnisse
Mit seinem Bestseller "The Rise of the Creative Class", hat Richard Florida 2002 den Nerv all jener getroffen, die sich nicht mehr in die traditionellen Kategorien von Arbeitgebern und Arbeitnehmern einordnen lassen wollen, die eine andere Arbeitskultur pflegen und zur Wertschöpfung vor allem ihren Kopf einsetzen. Doch dafür wollen Rahmenbedingungen geschaffen werden.
"Der kreative Schaffensdrang braucht neue Märkte und Bedürfnisse", meint Richard Florida im Interview mit dem Radiokolleg. "Für eine höhere Nachfrage in Bezug auf Gesundheitsvorsorge, Biotechnologie, Innovation, neue Erfahrungen, Musik, Kunst, also alles was uns ein besseres Leben verspricht, gibt es nur einen einzigen Weg: wir müssen Wohnen, Transport, Kleidung und Essen günstiger machen, um so eine kreative und gleichberechtigte Zukunft zu schaffen."
Mehr zu Creative Cities in oe1.ORF.at
Das Versprechen der "kreativen Ökonomie"
Vom Aufstieg der kreativen Klasse
Der Wandel des Begriffes Arbeit
Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 23. März bis Donnerstag, 26. März 2009, 9:05 Uhr
Buch-Tipps
Antonio Negri, Maurizio Lazzarato, Paolo Virno, and Thomas Atzert, "Umherschweifende Produzenten: immaterielle Arbeit und Subversion", ID-Verlag
Diedrich Diederichsen, "Eigenblutdoping Selbstverwertung, Künstlerromantik, Partizipation", KiWi, Kiepenheuer & Witsch.
Hubert Eichmann, Helene Schiffbänker (Hg.), "Nachhaltige Arbeit in der Wiener Kreativwirtschaft? Architektur-Design-Film-Internet-Werbung", Lit Verlag
Veranstaltungs-Tipp
Im Rahmen des Ö1 Symposiums "Creative Cities. Das Versprechen der kreativen Ökonomie" diskutieren internationale Experten die Rolle der "Creative Class" und das Paradigma des ökonomischen Nutzens. Dienstag 31. März 2009, Beginn 14:00 Uhr, RadioKulturhaus Wien, Eintritt frei.
Mehr zum Ö1 Symposium "Creative Cities" in radiokulturhaus.ORF.at