Ein Jahr unter Spekulanten
Wie ich einmal versuchte, reich zu werden
Wenn man die Erfolgsgeschichten aus den Medien kennt, glaubt man, ganz leicht mit den Berufsspekulanten mithalten zu können. Die Journalistin Heike Faller wollte es genau wissen und mit eigenem Geld eigene Erfahrungen machen.
8. April 2017, 21:58
Am Ende wird sie Kassensturz machen, das Scheitern ihrer Ziele einräumen und dennoch nicht unglücklich sein: Warren Buffett hat das vergangene Jahr im Minus abgeschlossen. Am Ende wird sie sich noch einmal jene vergegenwärtigen, die sie letztes Jahr ein Stück weit begleiteten: die Münchner Freundin, die mit ihren Aktien 40 Prozent Verlust gemacht hat; den Berliner Sammler, der von Einbrüchen bei Sotheby's und Christie's weiß; die beiden Börsianer in London, die ihre Firma gefeuert hat; und der irakische Geschäftsmann, der in Dubai viel verlor und in Bagdad viel gewann.
Am Ende wird sie ein bisschen klüger, ein bisschen vorsichtiger und viel nüchterner sein. "Die Wirtschaftsdaten sind katastrophal", wird sie sagen. Und: "Investoren sind Opportunisten". Und: "Die Lernkurve war sehr steil."
Heike Faller, Journalistin, Ende dreißig, in Finanzdingen bis vor kurzem noch auf dem, wie sie sagt, "Wissensstand eines Dienstmädchens", hat ein Jahr lang versucht, Geld geschickt anzulegen, dass nach diesem einem Jahr das Doppelte bliebe, und die Spielregeln des Finanzmarkts zu ergründen - und darüber ein Buch geschrieben.
"Ich war mir ganz sicher, dass es ganz leicht wäre, sein Geld zu verdoppeln", meint Heike Faller im Gespräch. "Ich hatte mich eigentlich eher gefragt, was ich mache, wenn ich es nach zwei Wochen schon verdoppelt habe, wie ich dann den Rest des Jahres zubringe. Das ist mir ja nun wirklich nicht gelungen. Mein Fazit ist, dass ich sehr viel weniger über die Welt weiß, als ich vor dem Jahr dachte."
Im Inneren des Kapitalismus
"Wie ich einmal versuchte, reich zu werden. Mein Jahr unter Spekulanten" heißt Heike Fallers kurzweiliges Buch: eine Reise ins Innere des Kapitalismus, der Erfahrungsbericht einer Frau, die sich vorübergehend in einer Männerdomäne versuchte - lehrreich und vergnüglich und darum: bestsellerverdächtig.
"Ich hatte davor Kapitalismus sehr stark assoziiert mit Stärkere beuten Schwächere aus, Reiche werden immer reicher, Arme immer ärmer - was ja auch stimmt", so Faller. "Was man dann aber merkt ist, wenn man sich in das Getriebe begibt, dass Kapitalismus auch bedeutet, dass extrem viele Individuen eigene Entscheidungen treffen dürfen; dass Kapitalismus auch Handel bedeutet, und Handel bedeutet, dass sich die Menschen treffen, sich verständigen und auf einen Preis einigen und damit in Kommunikation treten."
Abenteuer mit Hedgefonds-Manager
Heike Faller besucht die Goldmesse in München und die Börse in London, sie fährt, auf der Suche nach Emerging Markets, in den kurdischen Irak und, auf der Suche nach schnellem Geld, in das Casino von Baden-Baden. Sie spricht mit Kunstsammlern und Charts-Analysten, trifft den führenden Wahrscheinlichkeitstheoretiker Frankreichs, den wichtigsten Börsenhändler Bagdads, den größten Investmentguru der Welt: George Soros.
"Nachdem ich fünf Wochen lang nichts anderes getan hatte als mich mit ihm zu beschäftigen, war er für mich zum Investment-Gott geworden", sagt Faller. "Das Interview war dann für mich sehr enttäuschend. Am interessantesten, weil abenteuerlichsten, war tatsächlich die Reise mit dem Hedgefonds-Manager durch Kurdistan, weil das das abenteuerlichste Gebiet war und dieser Manager sich durch einen ganz besonders klugen Blick auf die Welt ausgezeichnet hat, der mich sehr überrascht hat."
Die Ethikfrage
Heike Faller lernt schnell das ABC der Börsensprache: Put-Optionen, Leerverkäufe, Value-Investing, Elliott-Welle. Weniger schnell versteht sie es, aus dem Durcheinander der aufgeschnappten Meinungen, Erfahrungen und Theorien eigene Handlungsanweisungen zu gewinnen. Lange Zeit weiß Faller überhaupt nicht, wohin mit dem Geld - mit den 10.000, aus denen 20.000 werden sollen.
Sie überlegt sich, ob sie "in Kakao gehen", was ihr sympathisch, oder auf Gold setzen soll, was ihr gewinnträchtig erscheint, kauft schließlich Optionsscheine auf Gold und auf eine südafrikanische Goldmine. Sie ist sich jetzt sicher: Die Krise wird heftig, der Goldpreis wird klettern, der Aktienindex purzeln. Sie legt sich ein Portfolio an, das sie "Portfolio Miserabilis" nennt, mit Put-Optionen, die mit stürzendem Aktienkurs steigende Gewinne bringen. Sie wettet auf Verluste von Banken. Und schlägt tatsächlich aus der Krise Kapital.
"Die Ethikfrage sollte eigentlich eine riesige Rolle in dem Buch einnehmen", sagt Faller. "Das war eigentlich die Hauptfrage, als ich damit anfing. Was macht mein Geld eigentlich? Diese Rolle ist dann extrem zurückgedrängt worden, weil ich dann so stark damit beschäftigt war, mich zu fragen, wie komme ich wieder aus der Talsohle raus, wie kann ich überhaupt Geld verdienen in dieser Katastrophe? Was bedeutet diese Finanzkatastrophe überhaupt?"
Gewinn ist wie Kokain
Aus der Perspektive des Kleinanlegers und wirtschaftswissenschaftlichen Autodidakten vermittelt Heike Faller Einblicke über persönliche Erfahrungen genauso wie über allgemeine ökonomische Zusammenhänge - und zwar durchaus salopp, humorvoll und dennoch nicht oberflächlich. Sie setzt sich mit dem "Glaubenskrieg" zwischen Keynesianern und Neoliberalen auseinander, geht auf Alan Greenspans Politik des billigen Geldes ein und erklärt die amerikanische Immobilienblase, sie referiert Soros' Theorie der Reflexivität, erläutert, was Leverage-Technik bedeutet und zitiert Dostojewskijs Roman "Der Spieler", ein Beispiel, wie man es besser nicht macht, wenn man reich werden will. Und informiert über Neuroökonomie, die belegt, dass der homo oeconomicus kein allein vernunftgesteuertes Wesen ist, und vorhersehbare Irrationalismen herauszufinden sucht.
"Es gibt Neurostudien, die sagen, dass Leute, die gerade einen unverdienten größeren Gewinn gemacht haben, dieselben Gehirnbilder vorweisen wie Leute auf Kokain", weiß Faller. "Also es ist wirklich ein extrem gutes Gefühl, das allerdings nicht sehr lange anhält. (...) Die zweite Sache ist vergleichbar mit Fußballergebnissen: dass man in dem Moment, wo man in so einer Welt drin ist, immer wissen will, wie es weitergeht, dass man die Märkte beginnt, als eine Art großen Fortsetzungsroman zu begreifen."
Heike Faller hat im Frühjahr ihr Spekulantenjahr beendet. Jetzt ist sie wieder in ihren journalistischen Beruf zurückgekehrt. Sie hat ihren Einsatz beim großen Gewinnspiel nicht verdoppeln können: Statt 10.000 Euro plus sind es dann doch nur 155 geworden. Nicht schlecht, angesichts der Lage. Aber nicht darum beneidet man Heike Faller, sondern um viele interessante Erfahrungen - und die Fähigkeit der Autorin, davon ganz unaufgeregt in einem kleinen, klugen Buch zu berichten.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Buch-Tipp
Heike Faller, "Wie ich einmal versuchte, reich zu werden. Mein Jahr unter Spekulanten", DVA
Link
DVA - Heike Faller