Ist die lieb!
Wahr gewordener Bubentraum
Was schaut zum Fenster herein? Ein dicker schwarzer Auspuff eines LKWs. Der Auspuff ist an der linken Wagenseite und mein kleines Auto ist rechtsgesteuert. Englisch. Im Plexiglas-Fenster eine kreisrunde Öffnung. Etwas größer als das schwarze Auspuffloch.
8. April 2017, 21:58
Sie lesen einen Ö1 Autotest, und damit keinerlei Unvereinbarkeiten wie Schleichwerbung oder unzulässige Produktvergleiche im Äther stehen, wird gleich zu Beginn festgehalten: Dieses Auto ist in Österreich nicht zu kaufen. Und auch sonst nur ganz selten. Und als Testfahrer, der damit eine bequeme Reise tut, und dann das Auto zurückgibt, kann ich mich auch nicht präsentieren: Für diesen "Test" habe ich das Auto nämlich selbst gekauft. Ich wollte wissen, wie man mit einem ökologisch nicht ganz unsinnigen (sehr leicht, mit einer Motorleistung der unteren Mittelklasse, 1800 Kubik, Katalyator), aber sonst völlig unpraktischen Fahrzeug im heutigen Straßenverkehr überleben kann.
Leicht und schnell
Eigentlich teste ich mich und nicht das Auto, und vom Konsumentenaspekt sage ich gleich zu Beginn: ich rate Ihnen ab, denken Sie keinesfalls an den Kauf eines Autos für "road & track", um damit zum Supermarkt zu fahren. Aber: Das Auto lässt Menschen lächeln. Es ist gerade einen Meter hoch, zirka 3 Meter 50 kurz, und ungeeignet für Menschen, die wesentlich größer als 175 Zentimeter sind.
Weil die Ginetta so klein ist, ist sie nicht bedrohlich, Frauen mögen das ("Ist die lieb" habe ich nicht nur einmal gehört), und schon gar nicht protzig. Einzig einige Kastenwagenfahrer und mancher LKW-Fahrer ist zur Ginetta weniger freundlich als zu einem prestigeträchtigeren Fahrzeug.
Ginetta, kleine Gina, ein italienischer Name für einen Sportwagen, der kaum britischer sein könnte, angeblich nach einer Katze benannt, kommt aus einem Familienbetrieb. Erstes Auto 1958 gebaut. Das Rezept: leicht und deshalb schnell. Rohrrahmen und Fiberglas-Karosserie. Ich will jetzt aber nicht die technischen Details näherbringen, muss zuerst die Bubentraum-Ginetta-Geschichte loswerden.
Ein Bubentraum aus den 1960er Jahren
Es muss Anfang 1966 gewesen sein, Jim Clark war gerade zum zweiten Mal Formel-1-Weltmeister geworden, da brachte mir mein Vater die Jahresausgabe der schweizerischen "Automobil Revue" mit. Mit einem Katalog aller Automarken der Welt. Ginetta war darunter, Bizzarini, Cord, Iso Grifo. Inzwischen könnte ich zu jedem dieser Namen eine Geschichte erzählen, aber das führt zu weit.
Erkennbar ist: die Lektüre war prägend. Es nützte nichts, dass ich irgendwann alle gesammelten Autozeitschriften (samt den Jahresnummern 1966 und 67 der "Revue automobile") verschenkte beziehungsweise wegwarf, "es" kam wieder. In Gestalt von mehr oder weniger rostanfälligen Alfa Romeos, Citroens oder Saabs. Aber auch die gingen vorüber, wurden verkauft oder ebenfalls hergeschenkt.
Auge in Auge mit den Reifen
Und dann drängte sich plötzlich die kleine Gina in mein Leben. Ich kam drauf, sie gibt es noch als Neuwagen, sogar mit relativ günstigem Preis. In England und Italien. Ich rief bei den Autobauern an, der Juniorchef war am Telefon, wir unterhielten uns prächtig - über Autos und die Familiengeschichte, ich kündigte ein E-Mail betreffs Preisanfrage an, schickte es und warte eigentlich noch heute auf die Antwort.
Macht nichts, ich fahre ja inzwischen bereits meinen Testwagen. Selbst gekauft, richtig versichert, seriös. Ich fand nämlich in England ein paar Menschen, die sich um das kulturelle Erbe der Automarke Ginetta kümmern. Spadge Hopkins verkaufte mir das Auto, und wusste auch einiges zur Sicherheit zu sagen, es sei schon seltsam, wenn man beim kreisrunden Fenster hinausschaut und nur das Rad eines Lastwagens in Gesichtshöhe hat, aber, die meisten Ginettas seien ja hell lackiert...
Aufpassen müsse man auf Landstraßen, wenn das Gras hoch ist, da könne man schon übersehen werden... Tja und was die helle Farbe betrifft, mein Auto ist grau-metallic, also ist Licht am Tag vielleicht doch nicht so schlecht. Und eine funktionierende Hupe.
Hör-Tipp
Moment, Montag, 28. September 2009, 17:09 Uhr
Link
Ginetta Heritage