Roman von Lydia Davis

Das Ende der Geschichte

"Das Ende der Geschichte" heißt der Roman von Lydia Davis. Den Reiz des Buches: Das Schreiben feiert einen Triumph über die Ideologie des Erzählens. Wer eine große amerikanische Liebesgeschichte erwartet, wird möglicherweise enttäuscht sein.

"The End of the Story" / "Das Ende der Geschichte" nennt sich der bislang einzige Roman der amerikanischen Autorin Lydia Davis. Aber es ist dieses Buch nicht das, was man sich gemeinhin unter einem amerikanischen Roman vorstellt. Epische Breite und Redseligkeit sucht man in dem Buch vergebens, das zeigt sich allein schon am Umfang: Die deutschsprachige Übersetzung des Grazer Autors Klaus Hoffer umfasst knapp über 250 Seiten - gestandene amerikanische Epiker benötigen so viel Platz ansonsten allein schon für die Expositur ihrer Geschichten.

Bei Lydia Davis nun ist die Geschichte nach 250 Seiten auch schon wieder vorbei, und genau das, nämlich die Frage, wie man als Autor beziehungsweise Autorin ans Ende seiner oder einer Geschichte kommt, ist auch das Thema des Buches. In "Das Ende der Geschichte" wird eine Liebesgeschichte zwischen einem jüngeren Mann und einer älteren Frau erzählt; diese Frau ist (wie Lydia Davis selbst) als Übersetzerin tätig ist und unterrichtet an einer amerikanischen Universität.

Autobiographische Grundierung

Dennoch oder gerade wegen dieser offenkundig autobiographischen Grundierung bleiben die äußeren Koordinaten von Raum und Zeit in dem Buch weitgehend unmarkiert. Als Leser vermag man nicht genau zu sagen, wo und wann die Geschichte spielt: mutmaßlich vor einigen Jahrzehnten in einer mittelgroßen amerikanischen Stadt. Genau orten lässt sich die Umgebung jedoch nicht, nur vage ist dann und wann von Fahrten in den Osten oder in den Westen die Rede.

Selbst die Namen der beiden Protagonisten bleiben undefiniert und zwar auch deshalb, weil sich die Erzählerin für keinen Namen entscheiden kann. Soll sie ihn etwa Stefan nennen? Nein, das klingt zu europäisch. Oder sollen die beiden Laura und Garet heißen? Nein, unter Laura stellt sie sich eine zu zierliche und friedliebende Frau vor. Susan vielleicht? Nein, auch das nicht, denn eine Susan wäre zu vernünftig, um (wie es in einem Zitat heißt) "nachts zu Fuß vom einen Ende der Stadt zum anderen zu gehen und dann eine Stunde wieder zurück und nach einem Mann zu suchen und seinem alten weißen Auto Ausschau zu halten, nur weil sie fest entschlossen ist, ihn wenigstens einen Augenblick zu sehen - obwohl er jetzt mit einer anderen Frau beisammen ist."

Nachspiel einer Liebesgeschichte

Das ist die Perspektive, die das Buch von Beginn an hat: Die Liebesgeschichte zwischen der älteren Frau und dem jüngeren Mann (irgendwo in Amerika) ist vorbei, und sie, die sie jetzt niederschreibt, versucht für sich, zu einem Ende der Geschichte zu kommen. Im Schreiben will sie von ihm wegkommen, um ihn nicht mehr suchen zu müssen und um ihn nicht mehr an jeder Ecke und allen gemeinsamen Plätzen zu sehen.

Im Schreiben soll er sich ihrem Denken und Fühlen entwinden; die Verbindungen wollen gekappt werden und die Verwurzelungen gelöst. Ein masochistisches Unternehmen, denn damit es gelingt, ist es nötig, sich noch einmal mit der Geschichte zu konfrontieren: Etwas aufzulösen, indem man sich noch einmal, ein letztes Mal hoffentlich, stark und mit allen Fasern seines Körpers daran bindet.

Arbeit am Ende der Geschichte

So arbeitet Lydia Davis aus purer Verzweiflung und weil es nicht anders geht am "Ende der Geschichte". Die Unsicherheiten dieser fragilen Art des Erzählens bleiben bis zum Schluss: Ob der Roman (der kein Roman ist) wohl gelingen mag und seine Darstellung der realen Geschichte angemessen ist? Immer wieder fügt die Autorin im Verlaufe des Buches Korrekturen ein: Nein, so wie noch vor einigen Seiten beschrieben, hat sich diese und jene Begebenheit gar nicht abgespielt: zwei Reisen etwa in den Osten, so erfahren wir, wurden allein aus erzähltechnischen Gründen zu einer einzigen zusammengefasst - und dann eben doch wieder auseinander genommen, um der Wahrheit willen, die hier jedoch nicht dem tatsächlichen Ablauf der realen Liebesgeschichte verpflichtet ist, sondern eine selbst auferlegte und vorbehaltlose Aufrichtigkeit während der Niederschrift widerspiegelt.

Triumph über die Ideologie des Erzählens
Genau das macht auch den Reiz des Buches aus: Dass das Schreiben hier einen Triumph feiert über die Ideologie des Erzählens. Wer eine große amerikanische Liebesgeschichte erwartet, mit tragischem Ausgang und/oder Happy End wird vom "Das Ende der Geschichte" möglicherweise enttäuscht sein. Denn das Ende der Geschichte, das hier so lange beschworen wird, bis es am Ende wirklich da ist, kommt bei Lydia Davis ganz ohne geschwenkte Fähnchen und ohne die - man möchte fast sagen: obligatorische - amerikanische Schlussparade daher.

Ganz im Gegenteil ist das wirkliche Ende der Geschichte bei Lydia Davis dann geradezu provokant unspektakulär: eine Tasse schlechter, bitterer Tee, den die namenlose Erzählerin in einer Buchhandlung trinkt - im Wissen, dass jetzt beides vorbei ist: die Liebesgeschichte ebenso wie der Roman: Ein Buch, das begreiflich macht, wie schwer ein Ende der Geschichte sein kann.

Hör-Tipp
Ex libris, jeden Sonntag, 18:15 Uhr

Buch-Tipp
Lydia Davis, "Das Ende der Geschichte", aus dem Amerikanischen von Klaus Hoffer, Droschl