Ready Mades und Punk

Künstlerbands

Die Geschichte zeigt, dass sich Ausdrucksformen der bildenden Künste, der darstellenden Künste, der Musik und der Literatur wechselseitig wirken. Dennoch gibt es Grenzen, die durch Verortungen wie Museen oder Konzertgebäude gezogen werden.

Robert Rotifer über Punkrock

Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts beziehen Künstler die jeweils anderen Formen der Kunst in ihr Schaffen mit ein. Eine wichtige Grundvoraussetzung für das Zusammenführen der unterschiedlichen künstlerischen Ausdrucksformen schuf dabei wohl die Idee des "Ready Mades", von Marcel Duchamp zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts entwickelt.

Objekte und Gebrauchsgegenstände des Alltags, wie etwa ein Flaschentrockner oder ein Pissoir fanden durch Duchamp Einzug in die Museen. Losgelöst von der eigenen Funktion sprengten diese Objekte den institutionellen Rahmen einer Kunstausstellung. Duchamps Geste wird als "die Geburt" der Konzeptkunst betrachtet.

Duchamps Kartenmusik

Musik spielte in Marcel Duchamps Werk eine weniger wichtige Rolle, dennoch komponierte er zwei Stücke. Diese Kompositionen nahmen musikalische Konzepte von John Cage, einem der einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts, oder Brian Eno's Pop-Produktionsmethoden fünfzig Jahre vorweg.

"Erratum Musical" aus dem Jahre 1913 ist eine Partitur für drei Stimmen: Für Duchamp selbst, sowie für seine Schwestern Yvonne und Magdeleine. Das Prinzip der Partitur ist einfach: Auf Karten stehen verschiedene Noten, die Duchamp dann in einem Hut mischte und in der Reihenfolge der Ziehung aufschrieb.

Musikalisches Zusammenarbeiten

In den einflussreichen künstlerischen Bewegungen der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts - Dada, Fluxus, Futurismus und Situationismus - formierten sich Gruppierungen für musikalisches Zusammenarbeiten. Unabhängig von einem akademischen Musikbegriff wurden Stile kombiniert, es wurde experimentiert und improvisiert.

Die Präsentation hatte dabei oft einen hohen Stellenwert und verkörperte eine Haltung oder ein Lebensgefühl. Diese musikalische Gattung kann mit dem Begriff "Künstlerbands" zusammengefasst werden.

Samtiger Untergrund

Der Bratschist und Pianist John Cale studierte am Goldsmith College der Universität London Musik. In den USA arbeitete er mit Komponisten wie John Cage und La Monte Young, bevor er auf den Sänger und Gitarristen Lou Reed traf. Beiden interessierten sich neben der Rockmusik für La Monte Youngs als "Drones" bezeichnete Kadenzen.

Cale und Reed gründeten die anarchistische Avantgarde- und Experimentalrockband The Velvet Underground, die 1966 und 1967 die Hausband der Andy Warhol Factory in New York war. Der Popkünstler produzierte auch das Debütalbum der Band mit der berühmten Warhol-Banane auf dem Plattencover und der sinistren Stimme der Schauspielerin und Sängerin Nico.

Velvet Underground beeinflusste die Musikgeschichte nachhaltig. Art-Rockrockbands wie Sonic Youth bis hin zu den Strokes, sowie zahlreiche Formationen aus Punk, Gothik und New Wave beziehen sich auf diese Zusammenführung sämtlicher medialer Kunst- und Präsentationsformen.

Punk

Der Art-School-Einfluss machte auch vor Punkrock keinen Halt, schildert der London-Korrespondent Robert Rotifer - mehr dazu in unserem Audio.

Kunst und Kommerz

Während eines Kunststudiums und in der Kunstlandschaft ist eine intensive Beschäftigung mit Theorien und Experimenten möglich. Im Kunstbetrieb gab es in den letzten Jahren den Trend, Musikerinnen in Ausstellungsräume und Museen zu einzuladen. Ein Beispiel dafür ist die in München gegründete Kunststudentinnenband Chicks on Speed.

Die Grenze zwischen professionellen Musikern und Dilettanten - viele der Musikerinnen aus dem Kunstumfeld sind musikalisch nur wenig oder gar nicht ausgebildet - verschwimmen. Der eigentliche Ausgangspunkt für das Musikzieren ist für Künstler oft Systemkritik. Dieser Aspekt bleibt durch eine erfolgreiche Karriere oft auf der Strecke.

Kunstmusik goes Werbung
Blixa Bargeld, Frontman der Berliner Band Die Einstürzenden Neubauten heißt mit bürgerlichen Namen Christian Emmerich. Sein Pseudonym Bargeld ist eine Reverenz an Johannes Theodor Baargeld, einen Dada-Künstler der 1920er-Jahre. Der Vorname Blixa stammt von einer Faserstiftmarke. Bargeld unterrichtet auch "Performance and Language" am San Francisco Art Institute.

Mit Damien Hirst auf der Kunsthochschulbank
Die Kunstszene brachte in Großbritannien der 1990er Jahren erfolgreiche Bands wie Blur hervor, deren Mitglieder gemeinsam mit Damien Hirst am Londoner Goldsmith College die Kunsthochschulbank drückten. Hirst präsentierte 2007 einen mit 8601 Diamanten besetzten Platinabguss eines Totenschädels.

Das Werk mit dem Titel "For the Love of God" wurde im selben Jahr für 75 Millionen Pfund verkauft und stellte damals die teuerste Arbeit zeitgenössischer Kunst dar. In Großbritannien der Gegenwart gibt es eine Reality-Show nach dem Prinzip von "Deutschland sucht den Superstar" oder "Starmania" - aber für Künstler.

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See this Sound
Blixa Bargeld
YouTube - Blixa Bargeld liest Hornbach
Institut für Feinmotorik - Music taken from Artists Records

Buch-Tipps
Cosima Rainer, Stella Rollig, Dieter Daniels, "See this Sound. Versprechungen von Bild und Ton, Verlag der Buchhandlung Walther König

Cathrin Pichler (Hg.), "Crossings. Kunst zum Hören und Sehen", Kunsthalle Wien

Blixa Bargeld, "Stimme frißt Feuer", Merve

Hör-Tipp
Radiokolleg, Montag, 15. Februar bis Donnerstag, 18. Februar 2010, 9:45 Uhr und 22:15 Uhr