Die Erfindung des Aquariums
Wie das Meer nach Hause kam
Im chinesischen Restaurant ist es erster Blickfang, in kaum einem Jugendzimmer fehlt es und moderne Zoos kommen ohnehin nicht ohne aus: Das Aquarium ist nicht erst seit Tintenfisch Paul selbstverständlich im Alltag integrierter Lebensraum und beliebtes, belebtes Möbelstück.
8. April 2017, 21:58
Doch seit wann betrachten wir Lebewesen im Wasserglas? Wie kam es dazu? Und was war der eigentliche Zweck? Der deutsche Kulturwissenschaftler Bernd Brunner ging diesen Fragen nach und fasste die Ergebnisse seiner Recherchen in seinem Buch "Wie das Meer nach Hause kam" zusammen. Tauchen Sie ein in die Geschichte des Aquariums.
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In einem Aquarium geht der Neuling suchend und sinnend umher, man sieht's ihm an, dass es in seinem Innern kocht und arbeitet; vor lauter Suchen bringt er es zu keinen behaglichen Genüssen, ja, man verzeihe mir den Ausdruck, er sieht so dumm drein, wie jemand in einer Gesellschaft, wo eine ihm fremde Sprache gesprochen wird.
Was der schwäbische Naturwissenschaftler Gustav Jäger beschreibt, ist heute kaum mehr nachvollziehbar. 1860 baute er in Wien eines der ersten öffentlichen Meerwasseraquarien Europas. Das Erstaunen über das seltsame Getier aus den unergründlichen Tiefen war groß. Denn das Meer kannten damals viele nur vom Hörensagen. Jahrhunderte lang wurde es hauptsächlich als Ort von "Angst, Tod und Wahnsinn" beschrieben.
Als gigantischer, unerforschter Raum beflügelte es naturgemäß die Phantasie zahlreicher Schriftsteller. Jules Vernes Roman "Zwanzigtausend Meilen unter dem Meer" sei hier nur als Spitze des Eisbergs genannt. Ob gigantischer Wal oder mörderischer Riesenkrake - was echt oder erfunden war, erschloss sich dem Durchschnittsbürger damals selten. Bei exotischen Tieren assoziierte man das Festland. Doch dann schwammen und schwabbelten sie plötzlich vor verblüfften Blicken, hinter dickem Glas, mitten in Wien: Seeanemonen, Quallen, Tintenfische und andere rätselhafte Wesen. Gustav Jäger:
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Es sind mir Fälle vorgekommen, wo gebildete Leute, weil zufällig die erklärende Person abwesend war, nach längerem planlosen Laufen von einem Gefäß zum anderen weggingen und außen an der Kasse ärgerlich fragten: Ja, was sieht man denn eigentlich da drin?
Wunderkammern und Raritätenkabinette
Gegenstände aus der Natur zu sammeln und auszustellen hat eine lange Tradition. In den Wunderkammern und Raritätenkabinetten der Renaissance etwa fanden vom einbalsamierten Krokodil bis zu versteinerten Eiern allerlei "kuriose" Objekte ihren Platz. Im 18. Jahrhundert kannte die Sammelleidenschaft keine Grenzen, nicht nur bei Wissenschaftlern, sondern auch bei Laien.
Die Moden wechseln sich häufig ab. Auf in Käfigen gesperrtes Ziergeflügel, wie dem nach wie vor beliebten Kanarienvogel, folgte der zumeist in Porzellangefäßen gehaltene "Dorade de la Chine", besser bekannt als Goldfisch. Mehrere Forscher tüftelten danach an den verschiedensten Arten von durchsichtigen Kästen. Der erste, der tatsächlich das Wort "Aquarium" als Bezeichnung für einen mit Meerestieren und Pflanzen befüllten Glasbehälter benutzte, war der britische Naturkundler, manische Sammler und religiöse Fanatiker Philip Henry Gosse. In seinem Buch "The Aquarium" beschreibt er das Betrachten von Einsiedlerkrebs, Wellhornschnecke und Seepferdchen als geradezu göttliche Erfahrung:
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Lasst uns die Grotten eines Miniaturozeans besuchen,
die prächtigen Seeanemonen und Würmer betrachten -
Aktinie, rosenfingrig und stets in Bewegung;
Phyllodoce, in einer Livree aus Smaragd und Gold.
Obskuritäten aus dem Meer
Im Gegensatz zu der lebendigen Farbenpracht in den neuen Stuben- und Salonaquarien wirkte die alte Farnsammlung plötzlich äußerst bleich. Das viktorianische Bürgertum dürstete nach immer mehr Obskuritäten aus dem Meer. Vor allem die für ihre glühende Naturbegeisterung bekannten Damen schwärmten herdenartig zu den Küsten Englands aus, um dort alles einzusammeln, was sich bewegte und aus dem Wasser zu stammen schien.
Nach dem die Welle der Begeisterung auch auf die Vereinigten Staaten und Deutschland überschwappte, erreichte die immer wieder als "Hysterie" beschriebene Meereslust sogar die Mittelschicht und wurde so zum Massenphänomen. 1854, also fünf Jahre vor dem Erscheinen von Darwins Evolutionstheorie, konnte man in der deutschen Zeitschrift "Die Gartenlaube" lesen:
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Der tyrannische, allgewaltige, unbändige Ocean fluthet auf unserem Tische als die unerschöpfliche Freudenquelle unserer Gesellschaften, unserer Einsamkeit, ohne dass wir uns nur die Füße naß zu machen oder ihm gar den üblichen Tribut aus unserem Magen zu opfern brauchen.
Erste Süßwasserbecken
In Deutschland machte sich der Naturforscher Emil Adolf Roßmäßler mit den ersten Süßwasseraquarien einen Namen. Spannend war dabei nicht nur die Betrachtung der einzelnen Exemplare, sondern auch die Kombination, da man anfänglich noch nicht ausreichend Kenntnis davon hatte, welche Tiere sich tatsächlich vertragen würden. Oft konnte man dann gemütlich vom Kanapee aus betrachten, wie sich das "Gedeihen eines Tieres an den Untergang eines anderen knüpfte".
Auch die Umgewöhnung der "Wunder des Meeres" an das wesentlich einfacher zu wartende Süßwasser war durchaus mitreißend zu beobachten - mit teilweise fatalen Ergebnissen. Die technische Entwicklung führte zu immer größeren Becken, den ersten sogenannten Schau- oder Publikumsaquarien im Londoner Regent's Park, im Pariser Jardin Zoologique oder im bereits erwähnten "Aquarien Salon Wien", der allerdings nur vier Jahre lang bestand.
Mit Liebe zum Detail
Bernd Brunners Kulturgeschichte des Aquariums besticht durch ihren kurzweiligen Aufbau, ihre angenehme Lesbarkeit und vor allem ihre Liebe zum Detail. Auch die negativen Seiten der Jagd auf exotische Fische und der Raubbau an den Küsten erhalten einen angemessen Raum.
Herausragend ist aber die Wiedergabe des anfänglichen Diskurses über Sinn und Unsinn der Meeresforschung an sich. Während die eine Seite begierig auf neue sensationelle Funde aus den Tiefen der Ozeane wartete, warnte die andere Seite vor der "Entzauberung der Tiefe":
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Das Fernrohr hat den Himmel entseelt, wird nicht das Tiefseelot und das Schleppnetz das Reich der Okeaniden vernichten und die harmonische Schönheit des Meeres zerstören?
Man hält einen hervorragenden Einblick in die Welt der Aquaristik in Händen und wünscht sich nur eines: ein adäquates Format. Wie man von Verlagsseite aus auf die Idee kam, ein derart seh-lastiges Thema in ein Taschenbuch mit teilweise Briefmarken-großen Schwarz-Weiß-Abbildungen zu pressen, ist nicht verständlich. Nachvollziehbarer sind da schon Brunners Ausblicke in die Zukunft:
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Vielleicht ziehen die Menschen schon im 22. Jahrhundert ganz in den Ozean. Dann vollzieht sich der letzte Schritt in der Formengeschichte des Aquariums: Das Verhältnis kehrt sich um, und der Mensch wird vom Betrachter zum Bewohner des Meeres.
Service
Bernd Brunner, "Wie das Meer nach Hause kam. Die Erfindung des Aquariums", Wagenbach Verlag
Wagenbach Verlag - Wie das Meer nach Hause kam