Oliver Lück über Schlägertypen
Keine Angst!
Oliver Lück ist Anti-Aggressivitäts-Trainer, hat ein Anti-Gewalt-Zentrum und ein Therapiezentrum in Berlin gegründet, und er ist "Der Jugendcoach" auf SAT.1. Sein Buch soll ein Buch gegen die Angst sein, um Aggression und Angst im Alltag in den Griff zu bekommen, ein Buch für Täter und Opfer.
8. April 2017, 21:58
Zitat
Thorsten: "Manchmal geht ein Kampf so schnell los, so schnell kann man gar nicht schauen. Und wenn ich dann meine ersten Blutstropfen sehe, dann ist es vorbei mit mir. Dann mache ich ihn richtig platt. Und wenn dann eine bestimmte Schwelle erreicht ist, kommen immer so ein, zwei Wuttränen. Zerstör ihn, bevor er dich zerstört. Dann nehme ich auch seinen Kopf und schlag den gegen die Wand. So lange, bis er sich nicht mehr rührt."
Tobsucht, Wut, Raserei - wenn man Thorsten provoziert, schlägt er zu. Oliver Lück arbeitet mit jungen Männern und Frauen, die - wie Thorsten - eine erhöhte Gewaltbereitschaft haben, das heißt: schnell aggressiv und gewalttätig werden. In seinem Buch schildert er fünf Lebensgeschichten von Klienten, und seine eigenen Erfahrungen mit Gewalt und Drogen, die ihn dazu gebracht haben, die Ausbildung zum Anti-Aggressivitäts-Trainer zu machen.
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Ich verabscheue Gewalt. Und abstruse Rechtfertigungen, die sich manche Täter dafür einfallen lassen, so auf die Art: "Der hat mein Mädchen angemacht, und deswegen hat er es verdient, dass ich ihn totschlage." Wichtig ist mir zu sagen, dass der Eindruck entstehen kann, dass ich die Täter für die eigentlichen Opfer halte. Opfer ihrer Umstände, Opfer kaputter Familien, Opfer verarmter Gegenden, Opfer der Gesellschaft. Und in sehr vielen Fällen, in den allermeisten sogar, sehe ich das so. Diese scheinbar so harten Schläger sind meistens arme Würstchen. Der Begriff "Opfer" ist in der Sprache der Jugend momentan sehr zentral. Er wird als Schimpfwort gebraucht. "Du Opfer" heißt: du Weichei, du Trottel, du Loser, du Verlierer. Opfer ist einer, der schwach ist.
Problem Machokultur
Lück versucht seinen Klienten zu zeigen, dass es nicht nur Täter und Opfer gibt, sondern auch etwas dazwischen: den normalen Alltag. Er setzt seine Arbeit - die er bewusst nicht Therapie, sondern Coaching nennt - bei der unkontrollierbaren Aggression an. Er möchte seinen Klienten bewusst machen, dass Aggression nicht automatisch nur etwas Negatives ist. Jeder Fußballer, der in der 89. Minute noch den Ausgleich schießen will, funktioniert beispielsweise über positive Aggression.
Lück sieht die "Machokultur" in der Gesellschaft als Problem: Ein Mann muss stark sein, Emotionen zeigen ist uncool, und oft fehlt die männliche Identifikationsfigur. Viele kennen Körperlichkeit nur in Form von Gewalt. Auch Männer brauchen Zärtlichkeit, konstatiert Lück, und beschreibt den Wunsch von dem nach außen hin so harten Marc nach Nähe.
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Marc: "Ich hatte noch nie eine Bezugsperson. Ich habe immer auf einen Kumpel gehofft. Mit dem ich über alles reden kann, wenn ich Probleme habe. Der mir einen guten Rat geben kann. Ich habe immer gedacht: Wann kommt mal einer und tritt mir in den Arsch?"
Keine Amokläufer
Gewöhnungsbedürftig ist der Stilwechsel zwischen Ich-Erzähler, den Lebensgeschichten der Klienten, die oft in Dialogen geschildert werden, und der Du-Form, in der Lück die Leser anspricht, wohl um Verständnis und Mitleid hervorzurufen.
Den Stil, wie Medien über Gewalt berichten, kritisiert Oliver Lück. Seine "normalen" Gewalttäter seien anders als Extremfälle wie Amokläufer. Er distanziert sich auch von der Meinung, dass Ego-Shooter-Spiele oder Gewalt im Fernsehen Gründe sind, warum Leute zuschlagen.
"Meine 'normalen' Gewalttäter finden solche Typen krass und befremdlich - Amokläufer sind für sie Verrückte", erzählt Lück. "Meine Ghetto-Schläger haben in der Regel gar keine Computer zu Hause. Sie spielen keine komplizierten Computer-Spiele. Und sie schauen auch wenig fern. Sie finden es viel besser, sich draußen auf der Straße gegenseitig zu verkloppen."
"Schrei nach Liebe"
Lück versucht in seinem Buch Verständnis für die Täter hervorzurufen. Das gelingt ihm, ohne ihre Taten zu verharmlosen. Gleichzeitig wirken die Schicksale der fünf Personen, die natürlich tragisch sind, ein bisschen zu plakativ. Man hat das Gefühl, er wirft alle in einen Topf. Folgendes Lied, schreibt Lück, passt auf alle Schläger, die er kennt: Die Ärzte - "Schrei nach Liebe": "Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe, deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit, du hast nie gelernt, dich zu artikulieren, und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit..."
Wenig Selbstwertgefühl, Gewalt in der Familie, Armut, wenig Bildung und wenig Perspektive - ergo ein Schläger? Fraglich, ob die Formel für Gewalt so einfach ist.
Am Ende des Buches gibt Lück noch Tipps, wie man sich in gefährlichen Situationen verhalten soll. Sein Patentrezept, dass man einen betrunkenen, aggressiven Schlägertyp in der U-Bahn nicht noch weiter provozieren soll, sagt einem jedoch hoffentlich der gesunde Menschenverstand. Interessant ist sein Vorschlag zur sogenannten "paradoxen Intervention", das heißt, dass man, sollte man sich wirklich bedroht fühlen, zum Beispiel durch Darauflosreden oder Singen den Angreifer irritiert.
Lücks Buch bewegt sich an der Grenze zwischen "Traurig, aber wahr" und "Klischee". Aber Lück schafft Einblicke in eine Welt, in die man sich nur schwer hineinversetzen kann, und allein deswegen lohnt es sich, sein Buch zu lesen.
service
Oliver Lück, Nataly Bleuel, "Keine Angst! Über die alltägliche Gewalt und wie man richtig reagiert", Droemer Verlag
Droemer Knaur - Keine Angst!
Sat.1 - Jugendcoach Oliver Lück