Roman von Steven Uhly

Das Glückskind

"Was die Leute alles wegschmeißen", denkt Hans D., ein arbeitsloser Mann Ende fünfzig, der gerade seinen Müll wegbringt - und in der Tonne etwas entdeckt, das wie eine lebensgroße Babypuppe aussieht, eingehüllt in Tücher, mit einer Mütze auf dem Kopf. Hans will gerade den Müllsack darauf legen, da schlägt es die Augen auf, blickt ihn an und beginnt leise zu weinen: ein Baby, keine Babypuppe.

Hans holt den Säugling aus der Tonne und nimmt ihn zu sich. "Mach dir keine Sorgen", flüstert er, "es wird alles gut." Er wiegt das Baby, wickelt es, gibt ihm Milch - Hans, der Hartz-IV-Empfänger, der am Leben Gescheiterte, der verwahrloste alte Mann mit der schmutzigen Wohnung. Er will das Kind nicht mehr hergeben, er will es behalten und großziehen: "du hast es gut hier, du bist bei einem alten Taugenichts gelandet, das ist großartig, ganz großartig, machen wir uns nichts vor", sagt er zu dem Säugling, den er Felizia nennt, denn er habe viel Glück gehabt, dass Hans ihn gefunden hat. So beginnt Stevens Uhlys ebenso berührender wie spannender Roman "Glückskind" - über ein Findelkind, einen alten Mann und seine Rückkehr ins Leben: der Roman einer doppelten Rettung.

Hans D. lebte ein einsames, armseliges, von seiner Umgebung abgeschottetes Leben. Er verfiel in Selbstmitleid, Selbstverachtung und Resignation, betrachtete alle Menschen als Fremde und hatte "längst aufgehört, die Welt zu ergreifen". Vor zwanzig Jahren ging seine Ehe in die Brüche, seitdem hat er keinen Kontakt mehr zu seinen Kindern - und keinen Lebensmut. Als er das Kind findet, geht es ihm zum ersten Mal wieder gut - "zum ersten Mal seit einer Ewigkeit".

Felizia ist seine Aufgabe, sein neuer Lebenssinn, seine "zweite Chance". Felizia hat mich gerettet, sagt Hans D. Er streift seine Lethargie ab, räumt die Wohnung auf und rasiert sich, er "wäscht und putzt und ordnet", er lässt sich nicht mehr gehen, "alles ist wie neu". Hans, der "behauste Obdachlose", der "lebendig Begrabene", glaubt wieder Kontrolle über sein Leben gewonnen zu haben, er fühlt sich gebraucht - und glücklich, glücklich mit dem Glückskind. "Kann es sein, fragt Hans sich, dass das Glück überall da ist, wo auch das Unglück ist?"

Uhlys "Held", der einst heruntergekommene und verzweifelte Mensch, stellt sich dank Felizia wieder dem Leben - und der Vergangenheit. Sein Trauma ist die "verlorene Familie", sein Scheitern als Ehemann und Vater. Felizia aber ist für ihn die Chance, der Welt zu beweisen, "dass er doch ein guter Vater sein kann, der beste Vater der Welt". Die Fehler und Versäumnisse der Vergangenheit, seine Schuld- und Ohnmachtskomplexe, scheinen auch seine Träume zu bestimmen - Träume von Gebirgen und Vulkanen, von roten Felsen und verschlossenen Türen, von Hindernissen und Haltlosigkeit.

Mit "Glückskind" erzählt Steven Uhly eine starke Geschichte, die den Leser nicht gleichgültig lässt. Ihr "Held", Hans D., findet nicht nur ein Kind, sein Glückskind, er findet auch eine neue Familie. Er gibt sich als Großvater des Säuglings aus, doch der alte Zeitschriftenhändler Wenzel und die iranischen Nachbarn Tarsi durchschauen - und unterstützen und bewundern ihn, ihn den verschrobenen Alten, der zur Inkarnation der Fürsorglichkeit wird. Und hier - wenn sich die Vier verschwören und solidarisch zeigen gegenüber einer misstrauisch werdenden Umwelt - gewinnt Uhlys märchenhafte Parabel durchaus auch komische, aber auch tragikomische Züge.

Hans fühlt sich geborgen - und begreift doch, dass er sein Glück nicht festhalten kann, dass er vielleicht einem neugierigen Hausverwalter und der ermittelnden Polizei, die das Mülltonnen-Baby sucht, etwas vormachen kann - nicht aber später einmal einem heranwachsendem Kind. Was wird er ihm sagen, wenn es nach seinen Eltern fragen wird? Wird er sich als falscher Großvater entlarven - und die wahre Mutter als Rabenmutter? Wird er die grausame Wahrheit einer barmherzigen Lüge vorziehen?

Steven Uhly erweist sich als souveräner Erzähler, der eine im Grunde sentimental klingende Geschichte ganz unsentimental erzählt - direkt und geradlinig, mit Gespür für den richtigen Spannungsaufbau und großem Einfühlungsvermögen in die Figur seines "Helden", eines Helden, der über sich hinauszuwachsen scheint, der gleichermaßen herzlich wie clever wirkt und schließlich vom Rand wieder ins Zentrum des Lebens rückt. "Glückskind" ist der dritte Roman des 48jährigen, erst vor zwei Jahren als Romancier debütierte.

Am Ende dieses modernen Märchens mit seinem überraschend versöhnlichen - vielleicht etwas zu versöhnlichen - Schluss, am Ende dieser Geschichte um Familie, Verantwortung und Glück, um "unsichtbare Menschen" und ausgesetzte Babys, wird Hans das Kind zurückgegeben und eine Frau aus dem Gefängnis gerettet haben, wird der "alte Narr" auch ohne das Glückskind "entspannt und glücklich" sein, wird er sein Leben in den Griff bekommen und begreifen, dass er sich "endlich um sich selbst kümmern" muss - Hans, "der Mann, der Angst davor hatte, nicht Mann genug zu sein, um in der Welt zu bestehen".