1922 - Der Stromdieb

Wir befinden uns im Jahr 1922 und unser Gegenstand heute ist ein "Stromdieb". Hinter dieser geheimnisvollen Bezeichnung verbirgt sich ein harmlos erscheinendes Objekt mit einem Glühbirnengewinde an einem Ende, einer Glühbirnenfassung am anderen und dazwischen einem Mittelstück aus weißem Porzellan, das zwei Doppelöffnungen aufweist.

Der "Stromdieb" war so etwas wie ein Adapter. Man habe also aus der Glühlampenfassung nicht nur das elektrische Licht gezapft, sondern man konnte auch Haushaltsgeräte daran anschließen, erzählt Christian Stadelmann, Kustos am Technischen Museum im Bereich Alltag und Umwelt. Die Wohnungen zu dieser Zeit waren nämlich zwar mit elektrischem Licht, nicht jedoch mit Steckdosen ausgestattet.

Rasende Inflation

Außerdem war die Bevölkerung zu solch kleinen Betrügereien fast gezwungen, denn das Geld verlor damals rasant an Wert. Die Nachkriegsinflation erreichte 1922 ihren Höhepunkt, gegenüber der Vorkriegszeit waren die Preise auf das 14.000-fache angestiegen, für 360.000 Kronen bekam man gerade noch 100 Schweizer Franken. Erst mit der Einführung des Schillings 1925 ebbte die Inflation langsam ab.

Die Sozialdemokratie in Wien versuchte, die soziale Misere in den Griff zu bekommen. Als die Stadt 1922 von Niederösterreich getrennt und zu einem eigenen Bundesland wurde, brachte das auch die für die Reformen notwendige Finanzhoheit.

Gesundheitsstadtrat Julius Tandler kämpfte gegen Tuberkulose und Alkoholmissbrauch, in der Bildungspolitik versuchte man einen kostenlosen Schulbesuch durchzusetzen und dann sorgte auch noch die großzügige Wohnbaupolitik dafür, dass Wien zur "Weltstadt des sozialen Gewissens" wurde. Die Stromversorgung in den neu entstehenden Wohnungen war damals allerdings noch eingeschränkt.

Dabei war selbst diese eingeschränkte Elektrifizierung anfangs gar nicht sicher gestellt. Da man nach dem Krieg nicht mehr auf die mährisch-schlesischen Kohlereviere zugreifen konnte, brach die Stromversorgung 1918/19 weitgehend zusammen. Erst die Errichtung von Wasserkraftwerken brachte eine Lösung dieses Problems.

Ideen von außen

Was andere Innovationen anging, holten sich die Stadtväter von Wien ihre Ideen häufig auf Bildungsreisen, vor allem aus den USA, wo Waschmaschinen bereits selbstverständlich waren. Und auch Privatunternehmer holten sich Anregungen aus Übersee. So drehte die Wiener Sascha-Film 1922 nach amerikanischem Vorbild einen Bibelmonumentalfilm.

Für das dreistündige Stummfilmepos "Sodom und Gomorrha", der teuersten Produktion der österreichischen Filmgeschichte, entstand am Wiener Laaerberg ein Tempel. Der an den Turm zu Babel erinnernde Bau wies skurrilerweise zeitgemäße Jugendstilelemente au, und zählt noch immer zu den größten Filmarchitekturen, die je geschaffen wurden. Regisseur war der Ungar Mihaly Kertesz, der später als Michael Curtiz in Hollywood den Filmklassiker "Casablanca" drehen sollte.