Neues vom theatercombinat

Claudia Bosses letzter Streich

Theater zwischen akustischer Choreografie, räumlicher Soundinstallation und Performance. Dafür steht die in Düsseldorf geborene Regisseurin Claudia Bosse. Mit ihrem internationalen Ensemble theatercombinat hat sie sich einen fixen Platz in Wiens Off-Szene erobert. 2009 erhielten Bosse und ihre Kompanie für die Inszenierung von Elfriede Jelineks "bambiland" den Nestroy für die beste Off-Produktion.

In den vergangenen Jahren hat sich Bosse mit den Möglichkeiten des politischen Handelns auseinandergesetzt. Unter dem Titel "Politische Hybride" fragt Bosse nach den Handlungsspielräumen der Gemeinschaft und des Einzelnen im Zeitalter der viel zitierten Postdemokratie. Das Ergebnis dieser Befragung ist eine Trilogie. Teil eins widmete sich dem politischen Subjekt, das von den Geistern der Geschichte heimgesucht wird. Teil zwei - weitaus weniger abstrakt - bezog sich auf den arabischen Frühling. Der dritte Teil wurde gestern Abend uraufgeführt: In diesem widmet sich Bosse unter dem Titel "designed desires" dem Körper.

Kulturjournal, 28.11.2012

Eine junge Akteurin räkelt sich breitbeinig am Boden, präsentiert einstudierte Posen, wirft den Zuschauern auffordernde Blicke zu. Ein Peepshow-Setting. Doch der Voyeur, der Zuschauer, steht hier unter Beobachtung. Entspanntes zurücklehnen gibt es garantiert nicht. Wenn das Stöhnen zum unartikulierten Zischlaut wird, wenn das Begehren ins Unheimliche kippt schaut Regisseurin Claudia Bosse ganz genau hin.

In ihrer aktuellen Produktion "designed desires" widmet sich Bosse dem Körper als Ort der Sehnsucht und des Begehrens. Die Einsicht: Unser Körper ist ein Ort sozialer Inszenierungen, der geformt und verformt, dressiert und getrimmt wird. Eine Einschreibfläche der Macht, aber auch ein Instrument des Protests

Der Körper als Einschreibfläche der Macht

Für ihre aktuelle Produktion "designed desires" hat sich Claudia Bosse wieder einmal einen besonderen Ort ausgesucht. Dass Bosse klassische Theaterräume meidet, ist längst bekannt. Bosse ist eine künstlerische Nomadin, die mit ihrem Ensemble funktionslos gewordene Ort im Stadtraum aufsucht und temporär besetzt. Zuletzt waren es eine aufgelassene Druckerei und das ehemalige Karthografische Institut in Wien.

Diesmal ist es die leerstehende Kantine des ehemaligen Zollamtes in Wien Erdberg. Ein gläserner Kubus, der die Grenze zwischen Innen- und Außenraum auflöst. Ein Aquarium, oder besser vielleicht Schaukasten, in dem Claudia Bosse die Körper tanzen lässt. Der Zuschauer ist aufgefordert, sich in der Zimmerflucht des 70er-Jahre-Zweckbaus frei zu bewegen - vom Speisesaal in die verfliesten Wirtschaftsräume, die im Schein des grellen Neonlichts eher an ein Schlachthaus erinnern. Ist die gelenkte und manipulierte Masse, deren Verlangen fremdbestimmt ist - das legt der Titel "designed desires" schließlich nahe - nicht mehr als Schlachtvieh?

Die große Wunschmaschine

Um dieser Frage auf den Grund zu gehen beschäftigte sich Claudia Bosse intensiv mit dem Vater der Public Relations Edward Bernay. In seinem Standardwerk "Propaganda" aus dem Jahre 1928, das auch Joseph Goebbels Anregungen geboten haben soll, stellt Bernay eine gewichtige Frage.

"Bernay war ein Neffe von Sigmund Freud und beschäftigt sich damit, wie befriedete Gesellschaften existieren können. Seine Antwort: Man muss an das Irrationale der Menschen appellieren und dort Bedürfnisse wecken, für die man Lösungen bereit hat. So könne man eine befriedete Gesellschaft schaffen, die man in dem Fall Demokratie nennt", sagt Claudia Bosse.

Körper und Protest

Claudia Bosse versteht den Körper nicht nur als dressierte Hülle, sondern auch als Instrument des Protests. Sie nimmt dabei nicht zuletzt - wenn auch nicht explizit - auf die Protestbewegungen der jüngeren Vergangenheit Bezug. Von Occupy bis zu den Revolutionen des Arabischen Frühlings. Protest mag sich heute im virtuellen Raum organisieren, auf Facebook oder Twitter, doch immer wieder wird auch der Einsatz des Körpers verlangt. Wenn der Unmut auf den öffentlichen Raum ausstrahlt: bei der Besetzung von Plätzen, bei Sitzblockaden, bei der physischen Konfrontation mit der Staatsgewalt auf der Straße.

Die Produktionen des theatercombinats sind keine Unterhaltungsware. Dem Zuschauer verlangt Claudia Bosse einiges ab. Er wird mit Eindrücken bombardiert, muss sich entscheiden, wo er hinhört, wem er zuschaut. Eine Theaterperformance für Fortgeschrittene.

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