Gesang als Kommunikation

Die "Café Sonntag"-Glosse von Joesi Prokopetz

Gesang: "Drum singe, wem Gesang gegeben." (Ludwig Uhland)
Kommunikation: "Aus vielen Worten entspringen ebenso viele Gelegenheiten zum Missverständnis." (Volksweisheit)

In der Edda finden wir die Seherin Völuspa unter der Weltesche Yggdrasil sitzend, wie die Seherin schaute und sang. Sie sang von den ur- und endzeitlichen Geschehnissen. Und dieser Gesang war Kommunikation.

Wer wollte es leugnen? Die Sirene sang ihr verführerisches, ja zwingendes Lied, das die Seefahrer, wenn sie es hörten das Lied vom Tod war. Und nur Orpheus und Odysseus konnten ihr entkommen, Orpheus, indem er den Gesang mit seiner Leier übertönte und Odysseus ließ sich die Ohren mit heißem Wachs verschließen und an den Schiffsmast binden. Auch Kommunikation. Unwiderstehlicher Gesang, der in den Tode führt, trotz besserem Wissen des Rezipienten, also fast schon Rhetorik von Gesang.

In der Oper kommuniziert Gesang ebenfalls, erhalten wir doch Kenntnis über die Befindlichkeit des oder der Singenden. Dem Verständnis und dem Verlaufe der Handlung dient der Operngesang meist nicht, da wir durch gesangliche Kunstfertigkeit die Worte der Arie oder des Wechselgesanges nicht verstehen können.

Der gewitzte Opernliebhaber geht daher gewissermaßen "studiert" in eine Vorstellung, hat er sich doch durch diverse Opernführer kundig gemacht, worum es geht. Allein, in der Oper beginnt Gesang, was das Kommunikative betrifft vielleicht nicht an Intensität aber doch an Präzision und Vollständigkeit zu verlieren, um in den Niederungen der leichten Muse bei gesungenen "Uuuuuhs", "Aaaaahs" oder "Lalalas" vollständig in der Beliebigkeit zu verkommen. Beim Schlager, gehoben oder nicht, ist bei Nichtkenntnis des Textes durch Gesang allein keine klare Botschaft zu erkennen.

Kennen wir nicht alle jemanden, der oder die die erste Zeile eines Liedes ansingt und dann nur mehr "Tatari, tatara" quasi rezitiert? "Weiße Chrysanthemen schenk ich dir zur Hochzeitsnacht...tatari, tatara". "Fiesta, Fiesta Mexicana...tatari, tatara" oder gar "Wärst du doch in Düsseldorf geblieben, schöner Playboy, du wirst nie ein Cowboy sein...tatari, tatara?

Wir müssen dem Gesang aber auch dankbar sein, denn gerade beim Schlager oder gar dem volkstümlichen Liedgut, wären die Texte, also der Kommunikationsinhalt des jeweiligen Liedes als Gedicht im weitestem Sinne kaum zu ertragen.

Wer möchte denn – vor allem, wenn er Schiller Rilke oder Ringelnatz kennt - ohne umschmeichelnden Gesang schon hören:

"Herzilein, du musst nicht traurig sein
ich weiß, du bist nicht gern allein
und schuld war doch nur der Wein."

Oder:
"Mandolinen und Mondschein.
Mandolinen und Mondschein.
Mandolinen und Mondschein."

Sind wir da nicht ein bisschen glücklich, wenn triefend-klebriger Gesang da die Worte zuschmiert, Sinnentleertes relativiert und Hanebüchenes mit einer Dreiklang-Attacke unschädlich macht? Kommuniziert uns da der Gesang nicht weg von ausgetretenen Pfaden der Worthülsen und des hilflosen Gestammels? Ja auch – und vielleicht gerade da - ist Gesang gnädige harmonisch-gefällige Kommunikation und Erlösung.

Für Gesang im Allgemeinen und für Kommunikation im Besonderen soll das Goethe-Wort gelten: "Ich singe wie der Vogel singt, der in den Zweigen wohnet, das Lied, das aus der Kehle dringt ist Lohn, der reichlich lohnet.