Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit

Für ein Kapitel hat Dana Grigorcea den 3sat-Preis beim Klagenfurter Bachmann-Wettlesen bekommen. Der gesamte Roman erscheint jetzt: Die 35-jährige Philologin lebt heute in Zürich und beschreibt in dem Roman "Das primäre Gefühl Der Schuldlosigkeit" die Zeit ihrer Geburtsstadt Bukarest unter dem kommunistischen Diktator Ceausescu.

Morgenjournal, 21.09.2015

"Ich würde mir wünschen, dass der Text zumindest noch 200 Seiten weitergeht", meinte der Bachmannpreis-Juror Klaus Kastberger nach der Klagenfurter Lesung von Dana Grigorcea, und sein Wunsch wurde jetzt erfüllt. In ihrem Roman "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit" spannt Dana Grigoircea den Bogen vom Ceausescu-Rumänien über die politische Wende bis in die Gegenwart - sie erzählt von einem Rumänien aus der Sicht einer intellektuellen Mittelschicht.

Aus dieser Welt kommt auch Victoria, die Protagonistin des Romans. Sie hat als Bankerin in Zürich Karriere gemacht, ist in ihre Heimatstadt Bukarest zurückgekehrt und sucht die Orte ihrer Kindheit auf - begleitet von Erinnerungen an die Angst vor Denunziation, die Warteschlangen vor dem Milchgeschäft, gestopfte Seidenstrümpfe und nicht zuletzt an die Ernüchterung nach der großen Euphorie der Rumänischen Revolution. Bei Victorias Streifzügen durch die sommerliche Stadt vermischen sich Traum und Wirklichkeit, Vergangenheit und Gegenwart, Anekdoten und Szenen aus dem wirklichen Leben.

"Schwebestaat" oder gesunde Nation?

Es sei ihr vor allem um jene Generation gegangen, die als letzte im Kommunismus aufgewachsen ist, sagt Dana Grigorcea: "An ihr ist es jetzt, eine neue Gesellschaft aufzubauen (...) Jederzeit besteht die Gefahr, dass man sich nach Russland hin orientiert. Wie erzählt man über diese Zeit?" Dana Grigorca tut das mit Witz und Ironie, poetisch und melancholisch.

Und sie verhandelt nicht nur die Fragen ihrer Herkunft: "Was hat die Generation verstanden, die nur diese Transition erlebt hat, die sich heute am Westen orientiert? Was wurde nachgeholt? Was wurde verarbeitet? Kann man eine gesunde Nation sein, ein gesundes Mitglied der Europäischen Union? Oder wird Rumänien ein ‚Schwebestatt‘ bleiben?", so die Autorin. Ein Staat ohne Tradition der Zivilgesellschaft, in dem Werte wie Demokratie und unabhängige Justiz bei jeder Wahl neu ausgehandelt werden müssen, meint Dana Grigorcea. Die deutsche Sprache gebe ihr die nötige Distanz, um darüber zu schreiben.

Service

Dana Grigorcea, "Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit", Dörlemann-Verlag

Bachmannpreis - Dana Grigorcea, Zürich (CH/ROM)

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