"kültür gemma!" im Tanzquartier Wien

Jedes Jahr schreibt "kültür gemma!" vier Arbeitsstipendien für Kunstschaffende mit Migrationshintergrund aus und will damit bewirken, dass deren Arbeit im kulturellen Feld zur Selbstverständlichkeit wird. Heute Abend präsentieren sich die Stipendiatinnen und Stipendiaten des vergangenen Jahres im Tanzquartier Wien.

Frau blickt in die Kamera

Dafina Syleimani

Ana Paula Franco

Kulturjournal, 21.1.2016

Service

kültür gemma!
tqw - kültür gemma

Migration beschreibt weit mehr als Auswanderung und Einwanderung: Der Begriff verweist auf die Lebensbedingungen von Minderheiten, die schon längst Teil einer Gesellschaft sind, auf den Versuch von Menschen, sich die sozialen Normen der Mehrheit anzueignen, auf das Wechselspiel kultureller Vermischung und Abgrenzung, kurz: auf die Machtverhältnisse innerhalb einer Gesellschaft.

Transgender-Kulturen in Albanien und Österreich

Migration, wie sie die Initiative "kültür gemma!" verstehe, ist ein hochpolitischer Begriff, und das kommt auch in den geförderten Arbeiten zum Ausdruck. Etwa bei Xhejlane Rexhepi und Dafina Sylejmani, die einen vergleichenden Blick auf höchst unterschiedliche Transgender-Kulturen in Albanien und Österreich werfen.

Die bildende Künstlerin und Musikerin Dafina Sylejmani befasst sich in ihrer Videoarbeit mit den vor allem in Nordalbanien lebenden Burrneshas: Frauen, die vor den Ältesten der Gemeinde einen Schwur abgelegt haben und fortan - meist aus wirtschaftlichen Gründen - als Mann und Familienoberhaupt gelten. Ihre Kollegin Xhejlane Rexhepi hat sich dagegen mit Migrantinnen und Migranten in Österreich befasst, die Teil der Queer-Szene sind. Zwei höchst unterschiedliche Subkulturen mit erstaunlichen Parallelen, sagt Sylejmani.

Komplexer Code der gesprochenen Sprache

Heute Abend im Tanzquartier wird Dafina Sylejmani vor allem als Rapperin zu erleben sein. Die gesprochene Sprache als komplexer Code von Macht, Identität und kulturellen Aneignungsprozessen ist auch das Thema gleich mehrerer weiterer Arbeiten, die im vergangenen Jahr entstanden sind. Poetry und Spoken Word, Rap und Gesang sind die Betätigungsfelder der Poetin, Künstlerin und Aktivistin Njideka. Hierarchien in der Gesellschaft zeigen sich auch daran, wie viel Wert sie einer bestimmten Sprache beimisst, ist Njideka überzeugt.

Was bedeutet schon die Aussage, eine Person spreche fließend Englisch? Wie sich das dann wirklich anhört, hängt von vielen individuellen Faktoren ab. Folgt man den Ideen der philippinischstämmigen Künstlerin Stephanie Misa, ist also Sprache eng mit Identität verknüpft. Der Vorstellung, jede Sprache habe eine klare Struktur, setzt Misa ihr Konzept der "bastard tongue" entgegen: Als "bastard tongue" gilt dann jede nicht-perfekte Annäherung an die "reine Sprache", erklärt die Künstlerin - und nimmt als Beispiel ihre eigene "philippinisierte" Form des Englischen her.

Kunstbuch "Transplant"

Für "kültür gemma!" hat Stephanie Misa ein Kunstbuch mit dem Titel "Transplant" geschrieben: Darin erzählt sie die Geschichten dreier philippinischer Einwanderer in Wien, die auf unterschiedliche Weise versucht haben, die Stadt zu ihrer Heimat zu machen. Einer kam als Asylsuchender, ein anderer Ende 1970er als Gastarbeiter, und schließlich erzählt ein Filipino der zweiten Generation, wie schwierig es ist, als Österreicher wahrgenommen zu werden. Alle drei hat Misa eingeladen, in einer Performance aus einem Kinderbuch zu lesen - in ihrem je eigenen "Bastard-Deutsch", versteht sich.

"Host" von Eisa Jocson

Philippinische Identitäten in der Fremde: Dieses Thema taucht im Rahmen von "kültür gemma" nocheinmal auf. Gemeinsam mit dem Tanzquartier Wien hat man die philippinische Choreografin und Tänzerin Eisa Jocson nach Wien eingeladen: Sie stellt morgen in der Halle G des Museumsquartiers ihr neues Stück "Host" vor. Als Inspiration dienten philippinische weibliche und Transgender-Hostessen, die in japanischen Nachtclubs auftreten. Dabei stellen sie eine Art von Weiblichkeit dar, die an die Geisha-Tradition erinnern soll. Ein Mikrokosmos, in den Jocson körperlich eintauchen wird.

Für die Österreichische Erstaufführung von "Host" und den heutigen Showcase von "kültür gemma!" hat das Tanzquartier Kombitickets aufgelegt. Auch die Stipendiaten des neuen Jahres werden sich da bereits dem Publikum präsentieren.

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