"Schellen-Ursli" von Xavier Koller verfilmt

Er ist der bislang einzige Schweizer Filmemacher, der einen Oscar für den besten fremdsprachigen Film gewinnen konnte: 1991 hat Xavier Koller mit seinem Flüchtlingsdrama "Reise der Hoffnung" einen internationalen Überraschungserfolg gelandet. Zuletzt hat sich der 71-Jährige des Kinderbuchklassikers "Schellen-Ursli" angenommen.

Kulturjournal, 15.3.2016

Das Kinderbuch der Schweizer Autorin Selina Chönz und des Künstlers Alois Carigiet ist seit seinem Erscheinen 1945 in 14 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft worden. Aber anders als der andere Schweizer Kinderbuchklassiker "Heidi", hat es der "Schellen-Ursli" bisher nur in Kurzfilmen auf die Kinoleinwand geschafft. Koller hat aus dem dünnen Büchlein jetzt einen 100-Minuten-Film gemacht. In der Schweiz war der Film einer der größten Kassenerfolge aller Zeiten.

"Hoch in den Bergen, weit von hier, da wohnt ein Büblein, so wie ihr." Das sind die ersten Zeilen aus dem Kinderbuch "Schellen-Ursli", und gleich daneben, eine Zeichnung des Buben mit der Zipfelmütze. Liebevoll getextet und gezeichnet, aber auch ein denkbar dünnes Ausgangsmaterial für einen Langfilm. Xavier Koller sagt, er habe sich in seine eigene Jugend zurück versetzt, sich überlegt, was für Abenteuer er selbst gern erlebt hätte, und dann einige Schlüsselbilder aus dem "Schellen-Ursli" in diese hineinplatziert.

Da ist dann die schwere Holztür des Ursli Hauses und der schmale Holzsteg über die Schlucht - Erinnerungssplitter an die Buchvorlage, die Koller in eine üppige wie rasant erzählte Handlung eingebettet hat. Zwar steht nach wie vor die Geschichte des Buben im Zentrum, der bei einem traditionellen Glockenmarsch nur die kleinste Glocke bekommt, deswegen von den anderen gehänselt wird, und dann allein auf die verschneite Alm marschiert, um die große alte Glocke des Vaters zu holen. Aber er habe dann vor allem nach Szenen gesucht, wo die Kinder aktiv werden können, sagt Koller.

Markante Typenzeichnung

Ein Käsekrimi wird erzählt, und der Streit um ein Zicklein. Und Koller tut das mit viel Mut zur markanten Typenzeichnung und in einem - zwar manchmal etwas pathetischem - Erzählton, aber ohne dabei das Kindliche mit Naivität zu verwechseln. Dabei hatte Koller ein stolzes Budget von 5,5 Millionen Schweizer Franken zur Verfügung. Tief wird in die digitale Trickkiste gegriffen, es gibt Drohnenflüge durch die Alpenidylle, und es wird mit Spezialeffekten gespielt, aber ohne, dass auf das Geschichtenerzählen vergessen wird.

Oscar für "Reise der Hoffnung"

Während Xavier Koller gerade durch den deutschsprachigen Raum tourt, um seinen "Schellen Ursli" zu bewerben, arbeitet er noch einem zweiten Projekt: In Bologna wird derzeit sein Film "Reise der Hoffnung" restauriert. Das Drama um eine türkische Flüchtlingsfamilie, deren Sohn auf dem Weg in die Schweiz ums Leben kommt, soll aus aktuellem Anlass erneut ins Kino kommen.

Angelehnt an reale Ereignisse, sei "Reise der Hoffnung" anfangs von allen Produzenten abgelehnt worden, aber Koller kämpfte für sein Projekt und wurde dafür 1991 mit einem Oscar belohnt. Mit dem Oscar öffneten sich für Koller die Türen der großen Hollywoodstudios, wo er allerdings höchst unterschiedliche Erfahrungen machte.

Erfrischend unspektakulär

Mit "Cowboy Up" landete er noch einen Achtungserfolg. Sein erster Film für die Disneystudios wurde allerdings vorzeitig aus den Kinos zurückgezogen, ein anderer kam erst gar nicht auf die Leinwand, weil die Produktionsfirma pleiteging. Trotzdem hat Xavier Koller Gefallen an Kalifornien gefunden, wo der Filmemacher seit mittlerweile über 20 Jahren lebt. Es sei andere Lebensphilosophie, eine optimistischere Grundstimmung, die auch die Filmbranche beherrsche. Und diese Begeisterung für das Geschichten erzählen spürt man auch in jeder Szene von Kollers "Schellen-Ursli". Ein - in seinem Erzählduktus - Kinderfilm der alten Schule, der erfrischend unspektakulär daherkommt.