Burschen aus dem Stamm der Xhosa in Südafrika

AFP /CARL DE SOUZA

Alte Wunden

Südafrikas Multitalent Nakhane mit zweitem Album

In weiten Teilen Südafrikas ist Homosexualität immer noch geächtet. Der Sänger, Autor und Schauspieler Nakhane Touré holte sich durch die Kunst seine Würde zurück – und hat jetzt als "Nakhane" sein eindrucksvolles neues Album vorgelegt.

Kulturjournal | 27 03 2018

Sebastian Fleischer

Schon mehrfach hat der 30-Jährige aufhorchen lassen: Für sein Folk-Album "Brave Confusion" wurde Nakhane 2014 mit dem nationalen Musikpreis ausgezeichnet; sein Romandebüt "Piggy Boy’s Blues", das Porträt einer der Volksgruppe Xhosa angehörenden Familie, fand große Anerkennung; und vergangenes Jahr übernahm Nakhane, selbst ein Xhosa, die Hauptrolle im Film "Die Wunde", der sich ebenfalls dieser zweitgrößten Ethnie Südafrikas, ihren Ritualen und Wertvorstellungen widmet und auf internationalen Filmfestivals wie dem Sundance oder der Berlinale gezeigt wurde.

Sein neues Album "You Will Not Die" ist von Soul, Elektronik und traditionellen Einflüssen geprägt, enthält ein mutiges Bekenntnis zur gleichgeschlechtlichen Liebe, erzählt aber auch viel vom inneren Kampf, der dafür notwendig war.

Unterdrückte Sehnsüchte

Die Stimme verströmt markanten, warmen Soul; die Arrangements öffnen eine Gefühlswelt, die vom Schmerz vergangener Tage erzählt. "Violent Measures" heißt die erste Nummer auf Nakhanes neuem Album "You Will Not Die", und es scheint bei diesen gewaltsamen Maßnahmen um das Unterdrücken von Sehnsüchten zu gehen.

Das Gefühl, anders und deshalb ein Außenseiter zu sein, die Vorstellung, etwas verstecken zu müssen, begleiteten Nakhane durch seine Kindheit und Jugend. In der südafrikanischen Kleinstadt Alice in eine Künstlerfamilie hineingeboren und aufgewachsen in der Metropole Port Elizabeth, habe ihm zumindest die Musik schon früh geholfen, mit seiner Scham und Angst fertigzuwerden, sagt er.

"Kinder sind sehr anpassungsfähig. Sie können geistige Räume schaffen, in denen sie sich sicher fühlen", meint Nakhane rückblickend. "Ich musste mir eine Menge solcher Räume schaffen, denn ich hatte es mit einem Umfeld zu tun, das ein sehr konkretes Männlichkeitsbild vertrat und jedem, der dem nicht entsprach, sehr feindselig gegenüberstand."

"Christentum hat uns viel genommen"

Dieses Umfeld war auch von christlich-konservativen Wertvorstellungen geprägt, die Nakhane als Jugendlicher übernahm. Eine Zeit lang glaubte er daran, seine Homosexualität wäre heilbar. Vor fünf Jahren habe er die Kirche verlassen, erzählt er - ein Prozess der Distanzierung und Emanzipation, von dem auch einige der neuen Songs handeln.

Behalten hat der Künstler seine Bewunderung der Bibel als literarisches Werk. Deren Erzählstruktur nutzte Nakhane, der selbst einst ein Literaturstudium begonnen hat, als Inspiration für sein Romandebüt "Piggy Boy's Blues" - das Porträt einer der Volksgruppe Xhosa zugehörigen Familie und damit stark autobiographisch geprägt.

"Sehen Sie sich zum Beispiel das Buch Genesis an: Es erzählt alles sehr schnell und springt von einem Akteur zum nächsten. Davon habe ich viel übernommen", erklärt Nakhane. "Ich denke, ich habe das Recht, mit dem Christentum so zu verfahren, denn als Werkzeug des Kolonialismus hat es uns so viel genommen."

Vom Folk zum Neo-Soul

Am Endpunkt dieses Emanzipationsprozesses steht auch das Album "You Will Not Die", auf dem sich Nakhane - etwa in der Single "Clairvoyant" - offen und lebensbejahend zur gleichgeschlechtlichen Liebe bekennt. Auch musikalisch hat er einen bemerkenswerten Wandel vollzogen: War Nakhane zunächst als Singer-Songwriter erfolgreich, streckt er sich nun nach neuen Ausdrucksformen jenseits der akustischen Gitarre aus - allerdings so gekonnt, als hätte er sie immer schon virtuos beherrscht.

"Viele sind immer noch der Ansicht, elektronische Musik sei nicht ‚human‘ oder habe keinen ‚Soul‘. Doch sogar Gospelmusik wird heute elektronisch produziert. Man verwendet drum machines, Synthesizer - aber aus irgendeinem Grund gilt das nicht als ‚elektronische Musik‘. Ich habe mich immer schon gefragt, wer diese Genres benennt und festlegt."

Als sich Nakhane zusammen mit dem Album-Produzenten Ben Christophers letztes Jahr ins Studio begab, um die Songs aufzunehmen, hatte gerade ein Kinofilm namens "Die Wunde" seine Premiere erlebt, in dem Nakhane die Hauptrolle spielt. Er handelt von einer Gruppe junger Männer, die in einem Bergdorf zusammenkommt, um das xhosaische Initiationsritual zu durchlaufen. Dabei werden junge Männer beschnitten, um ihren Übergang ins Erwachsenenalter zu markieren, wobei man auch an einen Heilungsprozess glaubt - etwa von homosexuellen Gedanken. Auch Nakhane als jugendlicher Xhosa hat diesen Prozess mitgemacht.

Morddrohungen wegen Filmrolle

"Diese Gruppe von Burschen ist auf sich allein gestellt. Sie sind weg von ihrer vertrauten Umgebung und haben nur einander. Diese Situation macht sie verwundbar - im körperlichen Sinn, aber auch emotional", berichtet er. "Auf der anderen Seite herrscht ständig eine Art von Hyper-Männlichkeit. Jeder versucht den Erwartungen, wie ein Mann sein sollte, voll nachzukommen. Das ergibt einen permanenten Widerspruch."

Diesen Widerspruch beleuchtet das Filmdrama, bei dem John Trengove Regie führte. "Die Wunde" feierte beim Sundance Filmfestival seine Premiere, eröffnete bei der Berlinale den Themenschwerpunkt "Ermächtigung der schwarzen Geschichte" und wurde mehrfach ausgezeichnet.

Nakhane jedoch erntete für sein Schauspieldebüt, wie auch einige seiner Kollegen, Hass-Mails und Morddrohungen. Einige Angehörige der Xhosa-Community sahen ihr Weltbild zerstört. Doch Nakhane hat längst gelernt, mit dieser Wut umzugehen und sie einzuordnen. Durch seine Kunst, sagt er, habe er es geschafft, sich und anderen die Würde zurückzugeben. Auch davon erzählt sein eindrucksvolles Album "You Will Not Die".

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