Außenansicht der Justizanstalt Göllersdorf. Man sieht vergitterte Fenster und die Tafel mit dem Namen der Anstalt.

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Journale

Psychiater: "Auch Ungefährliche sind im Maßnahmenvollzug"

Die Zahl der schwer psychisch kranken Rechtsbrecher im Maßnahmenvollzug ist in den vergangenen zwei Jahren massiv gestiegen - von 400 auf rund 515. Das liegt unter anderem daran, dass teils ungefährliche Personen in solche Anstalten eingewiesen werden, kritisieren die Verantwortlichen der Justizanstalt Göllersdorf in Niederösterreich.

Essensausgabe in der Abteilung mit Einzelzellen der Justizanstalt Göllersdorf. Brav stellen sich die sogenannten geistig abnormen Rechtsbrecher an: "Suppe?", "Ja, bitte! Dankeschön". Sie sagen artig Bitte und Danke. Und dem Redakteur mit dem Mikrofon schütteln sie freundlich die Hand. "Grüß Sie Gott", "Grüß Gott!"

Beim Plaudern erklärt ein Patient, dass er Papst werden will, ein anderer sagt "I mog di", zum Justizwachekommandanten. Aber nicht immer ist es hier so friedlich, vor allem nicht in der Nacht. Ein Insasse zeigt uns seine Zelle, der Spiegel ist heruntergerissen, der Kasten kaputt, weil er um sich geschlagen hat. Eine Art Punchingball hängt an der Wand zum Abreagieren. Ein anderer erzählt, dass er einmal seine Zelle angezündet hat. Brandstifter, Vergewaltiger, auch Mörder sind in Göllersdorf untergebracht - gemeinsam ist ihnen dass sie als nicht-zurechnungsfähig eingestuft wurden.

Alexander Dvorak, der ärztliche Leiter sagt: "Um die 80 Prozent sind an Schizophrenie erkrankt. Das sind chronische Langzeitverläufe, wo es in der Normalpsychiatrie kaum mehr Strukturen gibt, wo es auch sehr schwer ist, sie wieder in die Sozialpsychiatrie zurückzuführen." Dazu kommen einzelne Manisch-Depressive sowie schwer Minderbegabte, die ihre Impulse und Emotionen nicht kontrollieren können.

  • Ein Gang in der Justizanstalt. Boden und Kästen sind orange. Die Zellentüren sind verschlossen.

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  • Außenansicht der Justizanstalt Göllersdorf. Hinter Stacheldraht sieht man vergitterte Fenster.

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  • Die Justizanstalt Göllersdorf von außen: Ein altes Renaissance-Schloss

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Die meisten der 140 Insassen sind in Mehrbettzellen untergebracht, es gibt Zellen mit drei, vier und eine sogar mit fünf Betten. Das Justizministerium hat uns einen Besuch dieser Abteilungen nicht genehmigt. Die Volksanwaltschaft hat die Umstände als therapiefeindlich kritisiert und auch Psychiater Dvorak meint: "Es ist therapiefeindlich, weil es sich bei den meisten um sehr kranke Patienten handelt, die ein großes Problem haben mit Reizüberflutungen, mit Nähe und Distanz." Und Justizwachekommandant Manfred Brandl bestätigt: "Das kommt schon immer wieder vor, dass es Streitereien gibt, eher kleinere Raufereien. Das ist sicher auch bedingt dadurch, dass sie so auf engem Raum zusammen leben."

Dazu kommen oft sprachliche Probleme. Rund 40 Prozent der Insassen haben mittlerweile Migrationshintergund. Dass Göllersdorf und andere vergleichbare Einrichtungen überfüllt sind, führt Psychiater Dvorak auch darauf zurück, dass mitten unter den eingewiesenen gefährlichen psychisch kranken Menschen aus seiner Sicht auch ungefährliche Patienten sind: "Da erkenne ich dann oft in den Einweisungsgutachten eklatante Mängel. Patienten, die ein geringes Delikt verübt haben, da sollte dann in den Gutachten vermehrt auf die tatsächliche Gefährlichkeit geschaut werden."

Und umgekehrt seien - auch auf Basis von Gutachten - unter den nicht-zurechnungsfähigen andere allzu gefährliche eigentlich zurechnungsfähige Insassen - kriminell eingestellte Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, sogenannte Soziopathen, die etwa in der Justizanstalt Mittersteig in Wien besser untergebracht wären, meinen Brandl und Dvorak: "Das sind Patienten, wo man dann wirklich große Sorge hat, dass man es nicht mehr schafft, die wirklich kranken Patienten vor ihnen zu schützen." Denn die sogenannten Soziopathen seien den anderen weit überlegen. Sie würden sie missbrauchen, ausnützen, Geschäfte mit ihnen machen: "Und ausnützen reicht eben vom Finanziellen über das Sexuelle bis zu wirklich schweren Gewalttaten."

All das unter beengten Verhältnissen - im baufälligen Renaissance-Schloss Göllersdorf, das vor mehr als 30 Jahren zur Justizanstalt umfunktioniert wurde. In Göllersdorf wünscht man sich einen Neubau, sagt Psychiater Dvorak: "Das ganze Areal, auch da wo die Bäume stehen gehört zur Anstalt und es wäre sehr einfach einen Zubau bzw. einen Neubau der Wohnstationen zu machen." Das habe auch Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter gefunden, als er Göllersdorf und seine Insassen besucht hat. Aber bisher gibt es für einen Neubau weder Budget noch konkrete Pläne.

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