Der Hauptmann: Willi Herold (Max Hubacher) mit Freytag (Milan Peschel) und Kipinski (Frederick Lau).

JULIA M. MÜLLER

Kino

"Der Hauptmann" von Robert Schwentke

1956 schlüpfte Heinz Rühmann in eine seiner Paraderollen als "Hauptmann von Köpenick". Rühmann gab im boomenden Nachkriegsdeutschland den sympathischer Hochstapler in falscher Uniform. Eine ähnliche Dynamik steckt auch hinter einem neuen deutschen Kinofilm, der kommenden Freitag in die heimischen Kinos kommt. "Der Hauptmann" betitelt der deutsche Hollywood-Regisseur Robert Schwentke sein Werk schlicht.

Morgenjournal | 04 06 2018

David Baldinger

In schlichtes Schwarz-Weiß taucht er auch die Bilder mit denen er die wahre Geschichte des 19-jährigen Gefreiten Willi Herold erzählt. Mit heiteren Verwechslungsspielen und zackigem Ungehorsam hat "Der Hauptmann" allerdings nichts zu tun.

Deutschland im April 1945, das Land ist ausgehungert und steht kurz vor der Niederlage. Der Gewalt überdrüssig, desertieren Soldaten scharenweisen. Ihre Mägen sind leer, Anstand und Ethik zerfressen und durchlöchert.

Der Hauptmann: Einfacher Soldat oder Hauptmann: Willi Herold (Max Hubacher).

Einfacher Soldat oder Hauptmann: Willi Herold (Max Hubacher).

JULIA M. MÜLLER

Kleider machen Leute

In den letzten Kriegstagen wird dieses alte Sprichwort zur Lebensversicherung eines jungen Soldaten, der sich von seiner Truppe absetzt und dem Horror entkommt. Der Soldat heißt Willi Herold, ist Gefreiter und findet auf seiner Flucht die Uniform eines Hauptmanns. Als er hineinschlüpft verwandelt er sich unversehens. Vorbei sind die Stunden der Flucht und der Verzweiflung, Herold beginnt schnell, die neue Rolle auszufüllen. Erst noch mit den besten Absichten - zu überleben nämlich. Mit einer Bande aufgelesener Mitstreiter schlägt sich der falsche Hauptmann durch und setzt dabei auf Chuzpe, Führerkult und Autoritätshörigkeit.

Der Hauptmann: Willi Herold (Max Hubacher) wird immer mehr zum Hauptmann.

Willi Herold (Max Hubacher) wird immer mehr zum Hauptmann.

JULIA M. MÜLLER

"Eine unfassbare Fähigkeit Unrecht zuzufügen"

Je länger er sie trägt desto mehr wird Herolds Uniform aber zu seinem Panzer. Anfangs lächelt er noch verschmitzt und genießt den dreisten Coup. Doch hinter dem Panzer verkümmert auch das ethische Sensorium. "Wir Menschen haben eine unfassbare Fähigkeit einander Unrecht zuzufügen", meint der im Hollywood-Kino sozialisierte deutsche Regisseur Robert Schwentke."Ich halte es auch für universell, dass die Membrane zwischen Chaos und Zivilisation extrem dünn ist. Es ist sehr gefährlich, wenn man sich dessen nicht bewusst ist."

Um zu überleben marschiert Herold im Stechschritt in den menschenverachtenden Abgrund eines Gefangenenlagers für Wehrmachtsdeserteure.

True Story

Die Geschichte des Willi Herold hat sich tatsächlich zugetragen. Regisseur Schwentke zeigt den 19-jährigen Hochstapler als zusehends gefühllosen Henker im Blutrausch, der dem Sog des Bösen erliegt. Ihn interessiere die Sicht der Täter, sagt Schwentke. "Das konfrontiert den Zuschauer mit anderen Fragen als ein Film mit einer moralischen Identifikationsgröße", so seine Analyse.

Soweit die Theorie. Denn in der Praxis lässt der Film für Fragen oder Reflexion kaum Zeit. Weder dem Zuseher noch den Protagonisten. Zu Martin Todsharows Soundtrack gibt es Bilder von abstoßender Gewalttätigkeit. In einer Schonungslosigkeit, die selbst nicht zart besaitete Kinobesucher vor den Kopf stoßen dürfte.

Erst die Drastik dann die Empathie

Moral und Verantwortung, das Verhältnis des Einzelnen zum System, Integrität und der Preis des Überlebens. Die Geschichte des Hauptmanns ist durchzogen von thematischen Glutnestern, die Robert Schwentke aber der Drastik seiner Bilder opfert. Willi Herold ist ein wundersam Geretteter, der selbst auslöschen muss, um zu überleben. Dieser innere Konflikt wäre der eigentlich interessante Fokus, doch Schwentkes Antwort fällt bleiern und grob aus.

Gestaltung