ORF/ALEXANDRA MANTLER
Gewalt im Paradies
Die Sternsinger der katholischen Jungschar sammeln dieses Jahr unter anderem für Projekte auf der philippinischen Insel Mindanao. Malerische Fischerhütten am Strand und Karaoke-Bars gleich neben der Straße. Auf den ersten Blick wirkt Mindanao wie ein Paradies, doch es gibt auch eine Kehrseite: Vor Weihnachten hat das Parlament auf Wunsch von Präsident Duderte wegen Terrorgefahr das Kriegsrecht auf der Insel um ein weiteres Jahr verlängert. Und Fischer und Kleinbäuerinnen kämpfen gegen klimabedingte Naturkatastrophen und die Ausbeutung durch Großkonzerne.
3. Jänner 2019, 02:00
ORF/ALEXANDRA MANTLER
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Praxis 02 01 2019 16:05 Uhr
Die Philippinen gehören zu den Ländern mit der größten Biodiversität weltweit und die Insel Mindanao gilt, dank fruchtbarer Böden, als Kornkammer des Inselarchipels.
Doch drei Viertel des fruchtbaren Ackerlandes sind in den Händen von Großkonzernen, die auf Monokulturen für den Export setzen, während die philippinischen Kleinbauern versuchen, den Folgen des Klimawandels und regelmäßig wiederkehrenden Naturkatastrophen – von Taifunen bis Dürre - zu trotzen.
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Das Wasser steigt
Mehr und mehr Fischer werfen das Handtuch, weil internationale Fischereibetriebe alles leer fischen. "Teilweise verwenden sie auch die engmaschigen Netze, die eigentlich verboten sind", erzählt der Fischer Reginaldo Momo, kurz Rey genannt. "Wir haben das auch schon angezeigt, aber niemand kümmert sich darum."
Der 42-Jährige mit der von der Sonne und vom Meer gegerbten Haut, der hier mit seiner Frau Jocelyn und den beiden Kindern lebt, musste schon vier Mal seine Fischerhütte weiter nach hinten verlegen, weil das Meer ansteigt und sich immer weiter ins Land hinein frisst.
"Das Wasser kommt immer näher und wir haben kaum mehr Platz", meint Rey. "Hier sind wir nur geduldet vom Grundeigentümer. Aber wir können uns auch nicht einfach ein Stück Land kaufen, weil der Fischfang heute kaum mehr genug zum Leben abwirft." Von der Regierung erwarten sich die Fischer keine Hilfe, die philippinische Hilfsorganisation Subang, die auch von der österreichischen Dreikönigsaktion, dem Hilfswerk der Katholischen Jungschar, unterstützt wird, seien die einzigen, die ihnen mit Rat und Tat zur Seite stehen würden, meint Rey.
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Viele der Fischer geben schließlich irgendwann auf und suchen sich einen Job in der Stadt. Manche verschlägt es auch in die Hauptstadt der Insel Mindanao, nach Davao City. Dort landen sie dann häufig in einem der überbevölkerten Armenviertel von Davao. Hier leben meist mehrere Familien auf engstem Raum, teilen sich ein oft illegal errichtetes Haus. Die Eltern schlagen sich mit Gelegenheitsjobs durch, als Händlerinnen oder Fahrer. Das Geld ist knapp, das Aggressionspotenzial hoch. Kinder werden geschlagen, kleine Mädchen vom Nachbarn vergewaltigt, Jugendliche rotten sich zu Banden zusammen.
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Jaziel Sinadjen
Spirale der Gewalt
Der 17-jährige Jaziel Sinadjen lebt in einem dieser Barangays, wie man die Viertel nennt. Er ist schmächtig, hat eine große schwarze Brille auf der Nase und wirkt sehr eifrig und wohlerzogen. Doch der erste Eindruck täuscht, zumindest was das "wohlerzogen" betrifft. "Es gab immer viel Gewalt in unserer Familie. Meine Mutter hat mich geschlagen. Sie hat zum Beispiel einen Sessel nach mir geworfen, weil sie mich beschuldigt hat, ihr Geld gestohlen zu haben", erzählt Jaziel und fügt schließlich hinzu: "Meine Mutter hat es ja nie anders gelernt. Sie ist auch als Kind geschlagen worden."
Gebessert habe sich das erst, als er Mitglied von "Child Alert" geworden ist, so heißt die philippinische Hilfsorganisation, die mit Streetwork versucht, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen. Auch das ist ein Projekt, das mit Spendengeldern aus der alljährlichen "Sternsingeraktion" unterstützt wird. Bernie Mondragon hat "Child Alert" aufgebaut.
Dekadente Subkultur
"Extreme Armut erzeugt eine Art gewalttätige und dekadente Subkultur", erklärt der Sozialarbeiter. "Man hat kein Geld, man weiß nie, wo man das Essen für die Kinder hernehmen soll. Und dann wollen sie was von Dir, haben Wünsche, haben Bedürfnisse und Du willst es gar nicht hören, weil du eh nichts tun kannst. Und das schafft ein ganz eigenes Umfeld."
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Drogen seien in diesem Setting natürlich nicht hilfreich, doch nicht das Hauptproblem, wie Präsident Rodrigo Duderte mit seinem blutigen Anti-Drogen-Krieg gerne glauben machen möchte. Die philippinische Polizei gibt an, bisher 4.000 mutmaßliche Drogenkriminelle getötet zu haben. Menschenrechtsgruppen gehen davon aus, dass die Zahl etwa dreimal so hoch ist.
Doch skeptische Stimmen bleiben hier leise. Beim Großteil der Bevölkerung auf Mindanao kommt Dudertes hartes Durchgreifen gut an, zumal er, bevor er Präsident wurde, Bürgermeister von Davao City war, der erste philippinische Präsident, der von der Insel stammt.
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Angela Milano
Die 19-jährige Angela Milano arbeitet als Masseurin am Nachtmarkt. Die Schule kann sie nur am Wochenende besuchen. Doch immerhin hat sie sich so ein Stück Unabhängigkeit gesichert. Alles besser, als ein Schicksal wie das des 14-jährigen Mädchens, das gleich hier in der Nachbarschaft wohnt, meint Angela.
"Ihre Mutter hat die Beziehung zu einem viel älteren Mann eingefädelt. Sie hat jetzt schon ein Kind und ist gerade einmal 14. Aus Not, weil sie kein Geld hatten, hat die Mutter das gemacht. Die eigene Mutter!"
Angela, die sich bei "Child Alert" engagiert, beim Straßentheater und in den Gruppenstunden, hat Pläne: "Zuerst will ich die Schule fertig machen und dann Sozialarbeiterin werden, um andern Kindern hier zu helfen."
Kurz vor Weihnachten hat das philippinische Parlament das Kriegsrecht für die Insel Mindanao um ein weiteres Jahr verlängert und kam damit einer Bitte von Präsident Rodrigo Duterte nach. Begründet wurde die Verlängerung damit, dass die Armee mehr Zeit brauche, um den Terrorismus im Süden des Inselstaats zu besiegen. Auf Mindanao, wo mehr als 25 Millionen Menschen leben, gilt bereits seit Mai 2017 das Kriegsrecht. Armee und Polizei haben mehr Vollmachten. Damals hatten Islamisten, die sich zur Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bekannten, die Großstadt Marawi unter ihre Kontrolle gebracht. Erst nach fünfmonatigen Kämpfen gelang es der Armee, die Stadt zurückzuerobern. Insgesamt wurden mehr als 1.200 Menschen getötet.
Doch um den aktuellen Konflikt besser zu verstehen, muss man seine Vorgeschichte kennen. Der Islam war schon vor der Kolonialisierung der Philippinen durch die Spanier auf Mindanao verbreiten und die muslimische Bevölkerung hat den Anspruch auf politische Selbstbestimmung niemals aufgegeben. Doch die Spanier, die USA und später auch die philippinische Regierung setzten sich darüber hinweg und antworteten statt dessen mit systematischen Umsiedelungen von Christen in angestammte muslimische Gebiete. Waren im Jahr 1948 noch 90 Prozent der Bevölkerung auf Mindanao muslimisch, waren es 1970 nur noch 48 Prozent und 2008 gar nur noch 6 Prozent. Die hauptsächlich von Muslimen bewohnten Gebiete im Süden der Insel sind zugleich auch die ökonomisch ärmsten Gebiete, ein Teufelskreis aus Marginalisierung, Armut und Terror.