Amalie Seidel

BILD ARCHIV AUSTRIA/ORF/ISABELLE ORSINI-ROSENBERG

Gemeinderätin und Parlamentarierin

Amalie Seidel

Die Sozialdemokratin war eine der ersten zwölf Frauen im Wiener Gemeinderat. 1919 zog sie mit sieben weiteren Frauen als erste Parlamentarierin in den Nationalrat ein.

Amalie Seidel wurde 1876 als Amalie Ryba in Wien geboren. Von ihrem Vater, einem Metallarbeiter, wurde sie schon als Kind auf Gewerkschaftssitzungen mitgenommen. Im Alter von 17 Jahren organisierte sie ihren ersten Frauenstreik. Sie war zuerst Dienstmädchen, dann Textil- und Hilfsarbeiterin, 1892 trat Seidel dem Arbeiterbildungsverein bei. Amalie Seidel starb 1952 in Wien.

"Sind wir reif genug, uns mit 14 Jahren ausbeuten zu lassen, werden wir wohl mit 20 wenigstens imstande sein, unsere Interessen zu wahren. Jedenfalls werden wir sie besser wahren als die Herren, die heute im Parlament sitzen."

Motiviert durch den Tag der Arbeit am 1. Mai 1893 plädierte Amalie Ryba in der Bleich-, Spann- und Appreturfabrik “Heller und Sohn” für den Beitritt zur Gewerkschaft und wird dabei von ihrem Chef beobachtet und entlassen. Doch ihre Kolleginnen wollten sich die Arbeitsbedingungen - die Frauen arbeiteten von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends bei 50 Grad und somit nur halb bekleidet und barfuß im Chlordampf und das wiederum unterbezahlt und unter permanenten sexuellen Belästigungen - nicht mehr gefallen lassen. So kommt es, dass Amalie Ryba den ersten großen Frauenstreik organisiert.
Sie fordert die Verkürzung der Arbeitszeit auf 10 Stunden, eine bessere Entlohnung und menschenfreundliche Behandlung und motivierte ihre Kolleginnen zum “Streik der 700”. Eine weitere Forderung der Kolleginnen war es, Seidel wieder einzustellen. Zur Überraschung aller Beteiligten wurden alle Forderungen erfüllt. Der sozialdemokratische Parteiführer Victor Adler wurde so auf Ryba aufmerksam und ermöglichte ihr eine gute Ausbildung. Am 31. Oktober 1893 wurde eine große Frauenversammlung einberufen, auf der neben Adelheid Popp und Lotte Glas auch Amalie Ryba sprach. Schlussendlich wurde eine Resolution beschlossen, in der das aktive und passive, allgemeine und gleiche Wahlrecht für alle Staatsbürger ohne Unterschied des Geschlechts gefordert wurde. 1918 war die Sozialdemokratin eine der ersten 12 Frauen im Wiener Gemeinderat. Als Stadträtin kämpfte sie mit Julius Tandler im Fürsorgereferat gegen die die Stadt heimsuchende Tuberkulose und war für die Jugendfürsorge zuständig.
1919 zog sie mit sieben weiteren Frauen als erste Parlamentarierin in den Nationalrat ein.
Die Kollegin Anna Boschek berichtete, dass Ryba Wohnung im autoritären Ständestaat als wöchentlicher Treffpunkt für weibliche Wiener Abgeordnete gedient hat.
Nach Scheidung von ihrem ersten Mann, dem Ingenieur Richard Seidel, heiratete Amalie 1942 ihren langjährigen Freund, den jüdischen Gemeinderat Sigmund Rausnitz, um ihn im Nazi-Regime zu schützen. Er nahm sich aber gemeinsam mit seiner Schwester das Leben und Amalie Seidel lebte fortan beim ehemaligen Wiener Bürgermeister Karl Seitz und seiner Frau Emma.

“Wir müssen vom 14. Jahr an in den Fabriken arbeiten und unsere Arbeit baut den Reichtum unserer Ausbeuter auf. Sind wir reif genug, uns mit 14 Jahren ausbeuten zu lassen, werden wir wohl mit 20 wenigstens imstande sein, unsere Interessen zu wahren. Jedenfalls werden wir sie besser wahren als die Herren, die heute im Parlament sitzen”.

“Wir wollen das Wahlrecht als revolutionäres Kampfmittel, revolutionär ist ja der Grundgedanke der Sozialdemokratie, aber nicht revolutionär im Polizeisinn, nicht revolutionär, wie es die Hohe Regierung versteht, nicht um den Spießer zu schrecken. Wenn sie es nicht geben, dann werden wir das tun, was wir tun müssen. Wir werden revolutionär werden.”

“Ich habe der sozialdemokratischen Partei ein halbes Jahrhundert angehört. Es ist ein Glück, für eine Bewegung zu wirken, die einer Idee dient. Das hat mein Leben reich und glücklich gemacht. Ich bin als 17-Jährige zu ihr gestoßen und sage heute als 70-Jährige: Die Partei hat mich nie enttäuscht. Möge jeder am Abend seines Lebens sagen können, wie ich es heute sage: Was ich bin, das danke ich ihr. Aber ich glaube, ich habe es zurückgezahlt, durch die Treue zu unserer Partei.”

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