Fernsehkabarettist Wolodymyr Selenskyj

APA/HERWIG HÖLLER

Wolodymyr Selenskyj vs. Petro Poroschenko

Ukrainische Stichwahl: Kunstschaffende in Sorge

In der Ukraine hat der Komiker und Schauspieler Wolodymyr Selenskyj gute Chancen, nach der Stichwahl gegen Amtsinhaber Petro Poroschenko der nächste Präsident zu werden. Kunstschaffende und Intellektuelle sehen diese Entwicklung äußerst kritisch.

Mittagsjournal | 18 04 2019

Mirko Schwanitz

Ein erfolgloser Kampf gegen die Korruption, wachsende Unterschiede im Lebensstandard zwischen Stadt und Land, und natürlich der kaum abgeklungene Schmerz über den Verlust der Krim und der andauernde Krieg in der Ostukraine: Wolodymyr Selenskyj verdankt seine erfolgreiche Kandidatur der Unzufriedenheit vieler Ukrainer.

"Eine Marionette von Oligarchen"

Der Schriftsteller Jurij Andruchowytsch aus Iwano-Frankiwsk in der Westukraine sieht darin einen Rückschritt: Vor fünf Jahren hätten die Ukrainer mit dem Maidan ihren kleptokratischen Präsidenten Viktor Janukowytsch aus dem Land gejagt, ruft er in Erinnerung. Mit Wolodymyr Selenskyj würde nun erneut eine Marionette von Oligarchen gewählt.

"Ich vermute, da gibt es eine Art oligarchischen Konsens mit Unterstützung Selenskyjs. Die reichsten Leute der Ukraine waren damals einverstanden, dass sie mit Janukowytsch zufrieden sein werden", so Andruchowytsch. "Ich vermute, solch eine Art von Konsens ist bei uns jetzt wieder angekommen. Und deshalb bin ich hundertprozentig sicher: Wolodymyr Selenskyj ist kein unabhängiger Politiker und kein selbstständiger Akteur."

"Geisel einer Rache"

Tatsächlich stellte sich heraus, dass der Sprecher Selenskyjs einst im Wahlkampfteam des verjagten Ex-Präsidenten Janukowytsch arbeitete. Und der TV-Sender, in dem Selenskyj einen volksnahen Präsidenten wider Willen spielt und Poroschenko immer wieder zum Gespött macht, befindet sich im Besitz des Oligarchen Ihor Kolomojski.

"Zwar ist Kolomojski Putins persönlicher Feind, aber er ist genauso ein persönlicher Feind von Poroschenko", meint dazu der Autor Andrej Kurkow. "Der Wahlkampf ist eigentlich ein Rachefeldzug dieses Oligarchen gegen den amtierenden Präsidenten. Es geht hier nicht um das Land. Wenn Selenskyj gewinnt, würde das ganze Land Geisel einer Rache."

Kurkow ist einer der bekanntesten Autoren der Ukraine und kommt gerade aus Schytomyr zurück. 270.000 Einwohner. Das Lebensniveau? Dreimal niedriger als in Kiew. Er verstehe, dass sich die Leute dort einen Präsidenten wünschten, wie ihn Selenskyj im Fernsehen verkörpert. Man müsse eben keine Wahlen mehr manipulieren, wenn man vorher mit Fernsehbildern Wähler manipuliert.

Hoffnung auf europäische Perspektive

"Eigentlich stimmen die Leute für das Fernsehgespött. Die Ukrainer haben die Macht nie gemocht. Weder in Sowjetzeiten, noch danach", sagt Kurkow. "Dabei ist Poroschenko der einzige Präsident, der wirklich etwas für die Ukraine getan hat. Er hat sie Richtung Europa geführt. Meiner Meinung nach ist sein positiver Beitrag zur Entwicklung des Landes viel größer als seine Fehler."

Wie Jurij Andruchowytsch und Andrej Kurkow hoffen viele, dass die Ukraine auch nach der Wahl ihren pro-europäischen Kurs beibehält. Unabhängig davon, wer gewinnt.

"Meine größte Hoffnung ist, dass dieses Land ein freies Land bleibt", so Andruchowytsch. "Und dass wir keine Eskalation des Konfliktes im Osten bekommen. Dass keine Welle der russischen Aggression kommt und dass wir eine europäische Perspektive bekommen. Aber meine Hoffnung ist ziemlich unrealistisch."