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MEINE GRABINSCHRIFT

Autor

Herbert Achternbusch (Deutschland)

Regie

Jörg Jannings

Musik

Klaus Buhlert

Produktion

BR (Übernahme)

Mit

Traugott Buhre, Jens Harzer

Inhalt

"Ich bin dankbar, daß ich meine Waschmaschine ausräumen und die Wäsche aufhängen kann, eine Bestätigung. Ein Joch hingegen ist das Schreiben, das Malen ist nackte Sklaverei: Man schuftet für nichts, kein Entgelt, kein Zuspruch. An einem heißen Wochenende - war es vor 14 Tagen? - schrieb ich 'Meine Grabinschrift'. Ein herbes Sprechstück stand vor mir, keine Bewegung, nur Sätze, allerdings Satz um Satz gesprochen wie geschrieben. So gespannt wie diese 2 Tage schien mir mein Sprachbogen noch nie. Selbstverständlich mit der ständigen Angst, daß er bricht, der Bogen. Rindfleisch steht da unverhofft auf einem weißen Holzschild in schwarzer Schrift am Straßenrand. Natürlich weiß ich, was gemeint ist, und trotzdem steht da nichts anderes zu lesen als Rindfleisch, warum nicht Rindviech?
Dann taucht so ein Wort in einem meiner Texte wie hier auf, und keiner weiß, was das soll. Das ist Wirklichkeit. Der Angst wird nur Wirklichkeit Herr. Wenn die Angst von Wurzeln durchwachsen ist, kann man den Baum endlich ausreißen mit dem dunklen schweren Ballen um die Wurzeln, und man hat die Angst los, meint man. Ancient. Ich schrieb meine Sätze, und das Hirn funkte zwischendurch ancient. Zur geschriebenen Sprachebene stieß das Wort ancient nicht durch. Auch nicht ancestor. Positives sage ich mir nur auf englisch, die Lebensqual steht mir nur deutsch zur Verfügung. Ancestor. Wer weiß aus heiterem Himmel, was das heißt? Ich wäre natürlich gerne in die königliche Höhe vorgestoßen, und aus Psut wäre Hatschepsut geworden. Ich spürte, daß Psut gerne eine Prinzessin gewesen wäre, aber sie hätte mich, mein Alter ego, meine Schreibperson, die von mir geschriebene Person, nicht als König erkannt, und das langweilte mich schon im unbewußten Teil, so daß ich im Denken gar nichts wegzuschieben brauchte. Aber was heißt ich und der ganze Hokuspokus darum? So, sagte ich mir, das ist also das Ende vom Stück und ging durch die sonnige Kaufingerstraße. Nur ein wenig Zeit gewinnen, dann kommt der Abstand von selber. Wird die Wunde nicht heilen, so wirst du sie vergessen. Ich dachte aber gar nichts. Das Stück war weg, nur ancient und ancestor waren noch da, zwei wirre Wörter. Ich blickte in eine Seitenstraße, sie war aufgeräumt wie bei den guten Bildern von Chirico. Auch München kann seine Klarheit haben. Ich werde hier noch alle Welt erleben. Die Anfangszeiten der Kinos paßten nicht. Unabgelenkt ging ich zurück. Luft! Rindfleisch? Ancient heißt alt, und ancestor heißt Ahne. Hatte mich mit Amenhotep ein alter Ahne besucht? Ich weiß es nicht. Rindfleisch. Sicher ist nur, daß es heute um einiges heißer ist. Ich bin allein und sehne mich nach neuen Fantasien" (Herbert Achternbusch). (Produktionsjahr: 1997)

Sendedaten

24. November 1998 (Ü, 61: min )