Da capo: Im Gespräch

"Ich halte es für eine Zumutung, dass Menschen nicht nur alt werden, sondern auch noch sterben müssen". Michael Kerbler spricht mit Margarete Mitscherlich, Psychoanalytikerin

Eigentlich wollte Margarete Mitscherlich Anfang dieser Woche bei den Salzburger Festspielen über die "Radikalität des Alters" diskutieren. Sie musste leider krankheitsbedingt absagen.

Mitscherlich, die Grande Dame der deutschen Psychoanalyse, hat sich in ihrem letzten Buch mit großer Entschiedenheit nochmals den zentralen Fragen ihres Lebens zugewendet: dem Vergessen und Verdrängen und der Unfähigkeit der Deutschen zu trauern; der Emanzipation im weitesten Sinne, also der Befreiung von Denkeinschränkungen, Vorurteilen, Ideologien, aber auch im engeren Sinne der Emanzipation der Frau und ihrer Stellung in der Gesellschaft; den Geschlechterrollen, männlichen und weiblichen Werten. Zugleich reflektiert Margarete Mitscherlich das Älter- und Altwerden und beschreibt mit großer Offenheit, wie es ihre Sicht auf die Dinge prägt. In einem sehr persönlichen Textabschnitt beschreibt sie schließlich mit dem geschulten Blick der Psychoanalytikerin ihr Leben und Lebenswerk.

"Bin ich eine starrsinnige alte Frau? Bin ich furchtlos? Gewiss nicht, auch wenn mich vieles, was mir früher Angst machte, kalt lässt. Es ist alles nicht mehr so wichtig, ich selber schon gar nicht. Obwohl: Stimmt das?", notiert Margarete Mitscherlich. Die Psychoanalytikerin weicht auch den unangenehmen Fragen nicht aus: den Fragen nach dem - richtigen - Glauben, nach der Endlichkeit des Menschen und seiner Gebrechlichkeit im Alter. Aber sie drängt auch darauf, die positiven Seiten des Alters zu sehen: etwa die Lust am Denken.
Das Buch, das sie im Spätherbst 2010 publiziert hat, trägt den Titel "Die Radikalität des Alters".

Margarete Mitscherlich-Nielsen, geboren am 17. Juli 1917 in Dänemark, ist Psychoanalytikerin, Medizinerin und Autorin zahlreicher Bücher. Im Jahr 1947 traf sie in der Schweiz Alexander Mitscherlich, den sie 1955 heiratete. Mit ihm bemühte sie sich nach dem Krieg um die Wiederbelebung der Psychoanalyse in Deutschland. 1960 war sie Mitbegründerin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt, wo sie fortan vorrangig arbeitete, und fungierte viele Jahre als Herausgeberin der Zeitschrift "Psyche". Gemeinsam mit ihrem Mann veröffentlichte Margarete Mitscherlich 1967 das bahnbrechende Buch "Die Unfähigkeit zu trauern". Als das Buch "Die Radikalität des Alters" im vergangenen Herbst erschien, habe ich Margarete Mitscherlich in Frankfurt am Main besucht, um mit ihr über das Alter und den Wert von Erinnern und Vergessen zu sprechen.

Service

Margarete Mitscherlich-Nielsen, "Die Radikalität des Alters: Einsichten einer Psychoanalytikerin", S. Fischer Verlag, Frankfurt (ISBN-10: 3100491165 bzw. ISBN-13: 978-3100491169)

Alexander und Margarete Mitscherlich, "Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens", Taschenbuch, Piper Verlag (ISBN-10: 3492201687 bzw. ISBN-13: 978-3492201681)

Margarete Mitscherlich, "Die friedfertige Frau: Eine psychoanalytische Untersuchung zur Aggression der Geschlechter", Taschenbuch, Fischer-Verlag, Frankfurt (ISBN-10: 3596247020 bzw. ISBN-13: 978-3596247028)

Margarete Mitscherlich, "Über die Mühsal der Emanzipation", Fischer Taschenbuchverlag (ISBN-10: 3100491114 bzw. ISBN-13: 978-3100491114)

Sendereihe