Gedanken für den Tag

5. September 2011, 06:56

"Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir", kritisierte einst schon Seneca. Doch für welches Leben sollte der Mensch lernen? Ausschließlich für das spätere Berufsleben? Ist Schule also eine Kaderschmiede für die Wirtschaft?

Schule sei im Idealfall auch Menschenbildung, hält der Hauptschullehrer und Autor des Buches "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", Nikolaus Glattauer, dem entgegen. In diesen Tagen erscheint sein neues Buch zum Thema Schule: "Die PISA-Lüge".

In seinen "Gedanken für den Tag" spricht er über die heikle Beziehungstriangel zwischen Eltern, Lehrerinnen, Lehrern, Schülerinnen und Schülern, über den vielfach unterschätzten Wert von Religionen- und Ethikunterricht und über die Bedeutung von Eignung, Neigung und Leistung.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Wenn ab heute für mehr als eine Million Kinder und Jugendliche die Schule beginnt, dann ist das zunächst einmal ein freudiges Ereignis: An den ersten Schultagen auffällig viel Lachen in den Gängen.! Leider ist spätestens Mitte September Schluss mit lustig. Innerhalb kürzester Zeit erzeugt unser Schulsystem bei allen Beteiligten jenen Druck, der Schule als "Kampfplatz" erscheinen lässt. Untersuchungen zeigen, dass in Österreich fast 70 Prozent aller familiären Streitigkeiten durch das Thema Schule verursacht werden, in Ländern mit grundsätzlich anderen Schulsystemen, Dänemark, Kanada, Finnland, sind es nicht einmal 10 Prozent.

Rundum zufriedene Lehrerinnen wären der Schlüssel für einen Kurswechsel. Aber wie soll bei den Lehrerinnen Zufriedenheit aufkommen, wenn die Gesellschaft sie sogar darüber im Unklaren lässt, welches Schloss sie sperren sollen. Ist es heute primäre Aufgabe der Schule, Sprache und Kulturtechniken zu vermitteln, was früher Sache der Elternhäuser war? Geht es um Allgemeinbildung? Oder doch primär nur um Ausbildung für den Arbeitsmarkt?

Manche fordern vehement Elitenbildung. Wenn ich in der Sekundarstufe 1 eine neue 1. Klasse bekomme, dann sitzen dort regelmäßig jene Kinder, denen man beigebracht hat, ihre Mappen und Ordner zwischen sich und ihren Sitznachbarn aufzubauen, um Abschreiben zu verhindern. Diese Kinder sind die ersten, um die ich mich kümmere. Denn sie sind bei der wichtigsten aller Bildungen bereits  im Rückstand - bei der Herzensbildung!
An meiner Schule hängt ein Spruch: Wahrscheinlich wirst du eines Tages keine gute Welt verlassen, aber du kannst versuchen, als Guter die Welt zu verlassen. Ich denke, das ist ein guter Ansatz, um aus dem "Kampfplatz" Schule einen Ort zu machen, an dem das Lachen in den Gängen länger anhält als ein, zwei Schulwochen.

Service

Buch, Nikolaus Glattauer, Die Pisa-Lüge, Verlag Ueberreuter

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