Gedanken für den Tag

von Niki Glattauer. "Für welches Leben lernen wir?"

"Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir", kritisierte einst schon Seneca. Doch für welches Leben sollte der Mensch lernen? Ausschließlich für das spätere Berufsleben? Ist Schule also eine Kaderschmiede für die Wirtschaft?

Schule sei im Idealfall auch Menschenbildung, hält der Hauptschullehrer und Autor des Buches "Der engagierte Lehrer und seine Feinde", Nikolaus Glattauer, dem entgegen. In diesen Tagen erscheint sein neues Buch zum Thema Schule: "Die PISA-Lüge".

In seinen "Gedanken für den Tag" spricht er über die heikle Beziehungstriangel zwischen Eltern, Lehrerinnen, Lehrern, Schülerinnen und Schülern, über den vielfach unterschätzten Wert von Religionen- und Ethikunterricht und über die Bedeutung von Eignung, Neigung und Leistung.
Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer.

Praktizierende Eltern könnten zu Schulbeginn eine erstaunliche Entdeckung machen. Sie würden feststellen, dass die Stundenpläne ihrer Kinder genauso ausschauen wie ihre eigenen vor 30, 40 Jahren. Ich habe den Konjunktiv verwendet, denn zu meinem Erstaunen staunen Österreichs Eltern nicht über die verstaubten Stundenpläne ihrer Kinder. Kaum jemand würde sich einem Chirurgen anvertrauen, der auf dem medizinischen Niveau der k&k-Zeit operiert, aber der Stillstand im Schulwesen wird widerstandslos hingenommen.

Wenn es zu Veränderungen kommt, sind es nicht immer solche zum Guten. Beispiel Religion. Ich selber bin zu einer Zeit in Reli gegangen, als in den österreichischen Schulklassen alle katholisch waren und die beiden Rothaarigen evangelisch. Diese Stunden waren die besten Stunden der Woche: Kein Leistungsdruck, gute Gespräche, Gedanken über Logarithmen oder Satzgliederbestimmen hinaus. Heute haben wir in jeder Klasse fünf, sechs verschiedene Bekenntnisse - aber immer weniger Kinder, die einen Religionsunterricht besuchen. Ich halte das für schade, denn Religion ist der einzige Gegenstand, in dem es nicht primär um den Erwerb kognitiven Wissens oder gar Ausbildung für den Arbeitsmarkt geht, sondern schlicht um Menschenbildung. Natürlich, Religionsunterricht als Belangsendung einer Kirche ist zu wenig. Wir brauchen einen offenen und die Konfessionen umspannenden Religionenunterricht. Und eine verpflichtende Ethikstunde. Dort könnten auch profane Themen wie unser Rechtssystem oder unser Sozialsystem behandelt werden. Themen, die zu einem besseren Verständnis unserer europäischen Identität vielleicht mehr beitragen als Pythagoras oder Duden .

Service

Buch, Nikolaus Glattauer, Die Pisa-Lüge, Verlag Ueberreuter

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Playlist

Titel: GFT 110907 Gedanken für den Tag / Niki Glattauer
Länge: 03:48 min

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