Gedanken für den Tag

Von Superintendentin Luise Müller. "Von Narren und Weisen". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

"Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in eigener Person spricht. Gib ihm eine Maske, und er sagt die Wahrheit", lautet eine Weisheit des englischen Schriftstellers Oscar Wilde einmal gemeint. Masken und Rollen, Narren und Weise, Rio de Janeiro und Venedig, oder einfach einmal aus der Alltagshaut fahren. Nicht nur der Fasching hat viele Gesichter. Die evangelisch-lutherische Superintendentin Luise Müller lüftet so manche Maske.

An manchen Orten, vor allem in Deutschland, werden in den letzten Faschingstagen Rathäuser besetzt, Bürgermeisterinnen müssen den Stadtschlüssel abgeben, den männlichen Chefs werden die Krawatten abgeschnitten. Insignien der Macht wechseln den Besitzer. An solchen Tagen dürfen die Narren den Verantwortlichen und Einflussreichen die Meinung sagen, deren Fehler benennen, ohne dass es Konsequenzen hat. Mit lächelnder Miene nimmt man launig verpackte Kritik entgegen. Maskierte Faschingsnarren sagen die ungeschminkte Wahrheit. Dieses Verhalten macht einerseits Spaß, ist aber auch andererseits ein Ventil. Man spielt verrückt, um nicht verrückt zu werden. Man nennt Dinge beim Namen, um nicht am Ungesagten zu ersticken. Ich bin überzeugt, eine Gesellschaft braucht solche Rituale.

In den Märchen gibt es die Rolle des Hofnarren, der dem König als einziger den Spiegel vorhalten darf. In der der Geschichte gab es Franz von Assisi. Jesus galt schon zu seinen Lebzeiten manchen als gefährlicher Narr. Und seien wir ehrlich: auch Pfarrerinnen und Pfarrer werden oft mit einem mitleidigem Lächeln als närrisch und verrückt und naiv abqualifiziert. Die Vertreter der Kirche also als Narren in einer Welt, die nichtchristlichen Gesetzen gehorcht. Christinnen und Christen als Hofnarren eines Imperiums, das derzeit zu bröckeln scheint.

Mit Fasching hat das nichts zu tun. Eher schon mit Unabhängigkeit der Gedanken und Worte und Taten. Mit Selbstwert, der nicht von Geld und Einfluss abhängt. Mit dem Mut, gegen den Strom zu schwimmen, wenn das Ziel es erfordert. Mit der Erkenntnis, dass man manchmal das Unmögliche wagen muss. Sich so verhalten, dass entlarvt wird, was falsch läuft.

Christinnen und Christen sind in vielen Rollen. So z.B. in der diakonischen, in der seelsorgerlichen, in der lehrenden. Aber sie sind immer auch die, die Kritik an den Verhältnissen anbringen. Das ist nicht nur die Narrenrolle, sondern das kann auch lebensgefährlich werden. Nicht nur Jesus hat das erfahren.

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Titel: GFT 120224 Gedanken für den Tag / Luise Müller
Länge: 03:47 min

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