Gedanken für den Tag

Von Michael Bünker. "Erfahrungen auf der Alm". Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Gibt es das noch, ein Land, wo Milch und Honig fließen? In manchen alten Sagen werden die Almen so beschrieben. Aber das Almleben ist keine Idylle. Dennoch: Der Mythos ist zwischen den Interessen von Viehwirtschaft und Tourismus, von Forstbesitzern und Jägern ungebrochen lebendig. Wen der Zauber des einfachen Lebens ohne fließendes Wasser und elektrischen Strom in enger Gemeinschaft mit den Tieren und umgeben von weitgehend unzerstörter Natur einmal erfasst hat, den lässt er nicht mehr so schnell los.

Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker verbringt seit seiner Kindheit den Sommer auf der Alm. Er erzählt vom lieben Vieh und den steilen Wegen, von den typischen Almleuten und ihren Hütten, von den Hirschen im Wald und den Forellen im Bach und von einem Tagesablauf nach einem ganz anderen Rhythmus.

Jeden Sommer verbringe ich einige Zeit auf einer Alm - und das schon seit vielen Jahren, seit meiner Kindheit. Wenn mich der Freitagnachmittagstau in der Stadt endlich losgelassen hat und die Fahrt gut vorüber ging, ist es meist schon Nacht, wenn ich auf der Alm ankomme. Ich drehe den Zündschlüssel um, stelle den Motor ab und öffne die Tür. Da ist es wieder und es ist immer überwältigend. Es ist still. Ganz still. Die Geräusche der Stadt, die Musik aus dem Radio und der Verkehrslärm klingen wohl noch in den Ohren, aber dann sind sie einfach weg. Diese Stille ist wunderbar. Wer auf die Alm geht, könnte ich sagen, kehrt in die Stille ein.

Was mich bei solch einer nächtlichen Ankunft jedes Mal überwältigt kann man auch erleben bei einem einsamen Spaziergang, beim Schwammerlsuchen im Wald oder auf einem Berggipfel bei einer Wanderung. Das Rauschen eines Baches, der plätschernde Brunnen oder der leise Wind, der um den Gipfel streicht, stören diese Stille nicht, im Gegenteil: Sie wird dadurch nur noch größer. Alles, was ich höre tagein und tagaus will letztlich nur darauf hinaus: Diese Stille zu vernehmen. In der Stille kommen Menschen wieder zu sich selbst. In der Stille - so wird oft berichtet - vernehmen Menschen die Anrede Gottes. In der Stille wird das Wesentliche hörbar. Ich bin auf der Alm angekommen. In der Stille. Bei mir selbst.

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Titel: GFT 120723 Gedanken für den Tag / Michael Bünker
Länge: 03:49 min

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