Zwischenruf

von Christine Hubka (Wien)

Stratosphärenflug

Von all dem, was ein österreichischer Politiker gesagt hat, wird eine Frage noch weiter nachklingen, wenn der Mann selbst in der Öffentlichkeit keine Rolle mehr spielt. "Was war mei Leistung?", wollte er wissen, nachdem er eine erhebliche Gage erhalten hat.

Jeden Abend pflegen fromme Menschen sich genau das im Abendgebet zu fragen. Was ist mir gelungen? Was hab ich vermurkst? Was hab ich liegen gelassen? Womit habe ich meine Zeit und meine Kraft vergeudet? Was war mei Leistung heute? Ich meine, dass der Schritt von dieser kritischen Frage an sich selbst, hin zur Frage an andere nötig ist: "Was war deine Leistung?" Ich halte diese Frage für unverzichtbar, wenn Menschen mit allen Mitteln versuchen, die Aufmerksamkeit, die Gelder, die Zustimmung anderer zu erreichen.

Was ist zum Beispiel die Leistung eines Menschen, der aus 36 Kilometern Höhe im freien Fall auf die Erde springt? Ein erfahrener österreichischer Raumfahrer meinte, dass diese Aktion wenig für die Wissenschaft einbringen wird. Der wagemutige Springer und die Firma, die das Unternehmen mit viel Geld unterstützt, erhielten allein durch die Ankündigung des verwegenen Sprunges viel Aufmerksamkeit. Da hat es aber noch gar keine Leistung gegeben. Da war noch niemand mit Schallgeschwindigkeit auf die Erde zurückgeflogen.

Ich kann und will mich nicht aus unabsehbarer Höhe auf die Erde hinunter stürzen. Leiste ich deshalb nichts? Ist nur das eine Leistung, was andere nicht schaffen, nicht wagen? Ist Leistung nur dort zu sehen, wo am Ende eine Rangordnung steht: Gold, Silber, Bronze. Erster, zweiter, dritter Platz. Als die österreichischen Olympioniken ohne Medaillen nach Haus gekommen sind, hat niemand ihre Leistungen gewürdigt. Dabei haben sie in ihrer Sparte gegeben, was möglich war, davon bin ich überzeugt. Sie haben viel Energie und Zeit in die Vorbereitung gesteckt. Sie haben auf vieles verzichtet, um überhaupt die Qualifikation für die olympischen Spiele zu erreichen. Ich hätte das nicht geschafft. Ich hätte diese Opfer für den Sport auch nicht bringen wollen.

Ich frage weiter: Wieso erhalten Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung so viel weniger Aufmerksamkeit, wieso wird für Berichte über ihre Leistungen weniger Zeit in Radio und Fernsehen, weniger Druckerschwärze aufgewendet?

Wenn ein Lehrer, eine Lehrerin tagein tagaus einer wuseligen Kinderschar schreiben, lesen und rechnen beibringt, und es ihnen schmackhaft macht, das eine oder andere Buch zu lesen, ist das für mich eine wunderbare Leistung. Viele haben etwas von dieser Anstrengung. Die Ergebnisse von Leseleistungstests heben aber nur die Kinder hervor, die noch keine Leseratten sind.

So, wie in der Justiz nur dann von der Arbeit der Wachhabenden die Rede ist, wenn ein Häftling flüchtet. Von den vielen tausenden, die keinen Fluchtversuch machen, ist nicht die Rede. Diese nicht gemachten Fluchtversuche sind das Ergebnis der Leistung vieler in den Haftanstalten: Die Beamten, die täglich Umgang haben mit den Häftlingen und Krisen rechtzeitig erkennen und auffangen. Die sozialen und psychologischen Dienste, die Seelsorge die sich mit den Häftlingen auseinandersetzen. Die Leistung dieser Menschen wird nicht wahrgenommen, weil sie täglich und regelmäßig erbracht wird. Weil sie so unspektakulär ist und am Ende keine ersten Plätze zu vergeben sind.

Die Evangelien erzählen: Zu Beginn seines Wirkens versucht der Teufel, Jesus zu einem Star mit öffentlichkeitswirksamem Auftreten zu machen. "Spring von der Zinne des Tempels", dann werden alle staunen und dich bewundern und ah und oh schreien, wenn sie dich durch die Luft fliegen und sicher landen sehen. Jesus hat es vorgezogen, seine Leistung im Stillen zu bringen: Er hat die Kranken beiseite genommen, um sie zu heilen. Wenn sie gesund geworden sind, wollte er auch gar nicht, dass sie es weiter erzählen.

Wenn einer aus der Stratosphäre auf die Erde zurückspringt, dabei seine Gesundheit aufs Spiel setzt, ist das seine Sache. Wenn sich eine Firma findet, die das Unternehmen finanziert, mag sie es tun. Vielleicht fragen sie sich aber doch eines Tages: "Was war mei Leistung?"

Sendereihe