Zwischenruf

von Pfarrer Michael Chalupka (Wien)

Martin Walser, Altmeister deutscher Dicht- und Schreibkunst hat unlängst bei einer Vorlesung in Wien gemeint, die entscheidende Frage sei nicht, ob Gott existiere, sondern die Frage, was fehle, wenn Gott fehlt? Seinen Freunden, die nicht an Gott glauben können, denen gibt er den Rat, die Bibel doch als ein Stück Literatur zu lesen, denn es sei ja auch von Bedeutung was Hans Castorp zu Lodovico Settembrini in Thomas Manns Zauberberg zu sagen hätte, auch wenn beider Existenz nicht nachgewiesen sei.

Heute beginnt der Advent, die Vorweihnachtszeit, der Ort der großen biblischen Erzählungen und literarischen Glanzstücke. Doch im ältesten Evangelium, das von Jesus berichtet, dem Markusevangelium, fehlt etwas: Da finden sich keine Geschichten von Engeln und Lämmern, kein Ochs und kein Esel, keine Hirten und Könige, ja nicht einmal das Jesuskind kommt vor. Die älteste Erzählung von Jesus lässt Weihnachten einfach aus.

Stattdessen steht ein ruppiger Gesell im immergleichen Kamelhaarumhang, der sich nur von Heuschrecken und Honig ernährte, am Anfang der Geschichte. Er scharte so viele Anhänger um sich, dass sich sein König vor ihm fürchtete, ihn verhaften und sich seinen Kopf auf einem Silbertablett servieren ließ.

Johannes der Täufer war kein Mann der Besinnlichkeit und stillen Einkehr. Er war ein lautstarker Rufer in der Wüste, der Umkehr forderte und radikale Besinnung. Als äußeres Zeichen der Umkehr und Reinigung vom Falschen taufte er seine Anhänger im Jordan. Er taufte auch den, dessen Weg er vorbereitete: Jesus.

So fehlt zwar im Markusevangelium die Weihnachtsgeschichte, nicht aber der Advent. Denn der Advent ist die Zeit der Erwartung des Retters einer gefährdeten Welt. Der Advent, die Zeit der Vorbereitung, für die Johannes der Täufer steht, ist nicht die Zeit der Punschhütten und Zimtsterne, sondern der Advent der Gewissenserforschung, die Zeit der Umkehr von alten Fehlern und die Zeit des Aufbruchs aus festgefahrenen Mustern.

Der Advent ist die Zeit, in der deutlich werden kann, was fehlt, wenn Gott fehlt. Johannes der Rufer in der Wüste weist auf das Fehlen Gottes hin, er predigt die radikale Sehnsucht nach Erlösung, nach einem Loskommen von der Welt, der Welt, die ihm unerträglich geworden ist, in ihrer Selbstbezüglichkeit und Selbstgefälligkeit. Er fordert die Besinnung auf eine Instanz ein, die außerhalb des eigenen Ichs liegt. Ihm fehlt Gott. Johannes der Täufer ist der Prophet des Fehlen Gottes. Die Erzählung von Johannes dem Täufer nimmt eine überraschende Wendung. Gott selbst wird zum Kind, kommt als Mensch in die Welt. Gott kommt nicht als allmächtiger Herrscher, als tobender Rächer, sondern als Mensch unter Menschen, als Mensch ohne alle Gewalt.

Doch das ist eine andere Geschichte, wird an anderer Stelle erzählt. Im Markusevangelium gehört der Advent dem wilden Gesellen Johannes dem Täufer, der vom Fehlen Gottes berichtet. Martin Walser meint, dort wo das Fehlen Gottes empfunden wird, dort ist Bewegung, die Bewegung des Suchens setzt Energien frei. Der Mensch werde nach oben offen, und es kann mehr aus ihm herausströmen, als er empfängt. Heute sei von dieser Bewegung wenig zu spüren, schloss Martin Walser seinen Vortrag, fast ein wenig resigniert, denn heute, ja heute, fehle Gott niemand mehr.

Johannes der Täufer ist die sperrigste unter den Figuren der Vorweihnachtszeit, und doch ist er eine meiner Lieblingsfiguren, denn von ihm lerne ich, dem Fehlen Gottes nachzuspüren, auf sein Ankommen in der Welt zu warten. Gott zu vermissen ist eine Glaubensübung. Sie fällt nicht immer leicht. Aber sich auf ein großes Ereignis vorzubereiten, ist nicht immer nur einfach.

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