Gedanken für den Tag

17. Dezember 2012, 06:56

Ich schenk dir was

In einer ersten Klasse Volksschule las ich eine Geschichte vor, in der ein kleines Lamm das Pech hat, sich in einen Schmetterling zu verlieben, und alle Tiere fragt, wie denn das mit dem Liebhaben ist.

"Wie ist das wirklich?", unterbrach mich ein Bub. Ich gab die Frage an die Kinder weiter.
Sie überlegten, verwarfen ihre Einfälle, ergänzten, riefen durcheinander. "Liebhaben kommt vom Schenken", behauptete einer.
"Gut", sagte ich, "dann schenken wir einander jetzt etwas!"
Aber sie hätten doch gar nichts mitgebracht, riefen sie, und ich auch nicht.
Und wenn wir einander etwas schenkten, das man nirgends kaufen könnte?
"In keinem Laden?" "Nein."
"Auch nicht im größten Supermarkt?" "Nein!"
"Dann ist es Quatsch!", sagte einer, und viele nickten dazu.
Plötzlich kicherte ein Mädchen und sagte: "Ich schenk dir drei Regentropfen." Einige feixten, zuckten mit den Schultern, doch dann kamen die schönsten Geschenke: das Schillern einer Seifenblase, das Blätterrascheln auf dem Gehsteig, der Nasenstüber eines Hundes, aber auch "alle meine falschen Noten, wenn ich Klavier übe"... Sie übertrafen einander mit immer verrückteren Geschenken. Wir lachten viel.

Als jede und jeder mindestens ein Geschenk bekommen hatte, las ich die Geschichte zu Ende. Die meisten Kinder schienen zufrieden, dass sich der blaue Schmetterling auf dem Wuschelkopf des Lamms niederließ. Ein Mädchen aber fragte: "Wie ist das jetzt wirklich mit dem Liebhaben?"

Bevor ich noch antworten konnte, rief ein anderes: "Liebhaben kommt vom Liebhaben! Basta!"

Wahrscheinlich ist es wirklich so einfach. Und so schwierig.
Die Pausenglocke störte uns. "Und was machst du jetzt mit deinen vielen Geschenken?", fragte der Bub, der zuerst von Quatsch geredet hatte. "Die haben gar nicht Platz in deiner Tasche!"

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