Gedanken für den Tag

Von Julya Rabinowich. "Vaterbild, Trauerweg und Neuanfang" - Der Blick zurück, der Blick nach vorn in Kunst und Leben. Gestaltung: Alexandra Mantler-Felnhofer

Diese Gedanken habe ich lange mit mir herum getragen, ohne dass sie Trost spendeten, noch länger verdrängt und dann recht dauerhaft vergessen. Aber wie das so ist mit dem Verdrängten, es verschwindet nicht, sondern nistet in kleinen unübersichtlichen Winkeln des Bewusstseins, bis es groß genug geworden ist, um mit Getöse hervorzubrechen. Dieser Augenblick ist zwar verschoben, aber nicht aufgehoben. Wenn das nun Verdrängte einen zu einem Zeitpunkt trifft, zu dem man weder gewappnet noch vorbereitet ist, wenn der Schmerz, die Erschütterung so groß sind, das Selbst aber noch so klein. In diesem Fall ist das Verdrängen der Mechanismus, der uns schützt und uns das Weiterleben ermöglicht, bis man groß genug ist, den Schmerz zu tragen.

Also, ich bin weit abgeschweift von den Gedanken, mich selbst verführt, mich wieder zu entfernen, man könnte sagen: ein spielerisches Verdrängen, ich spiele, als ob ich vom Thema abgekommen wäre, aber ich weiß die Frage immer noch. Wohin geht man, wenn man tot ist? Ist man im Nirgendwo? Im Woanders? Gibt es einfach niemanden mehr, der irgendwohin gehen könnte, und ist deswegen diese Frage müßig? Das erste, das ich dachte, als mein Vater starb. Wo war er hin? Und würde ich ihm folgen? Diese totale Abwesenheit war mir nicht vorstellbar. Er war immer dagewesen. Jetzt plötzlich nicht mehr? Kann man verschwinden? Oder ist unsere Hoffnung auf ein Danach ein verzweifelter Versuch, über diese finale Gewissheit hinwegzutäuschen?

Ich halte nichts davon, ohne Hoffnung zu leben. Aber auch nicht mit Selbstbetrug. Insofern sind diese Gedanken jene, die mich die ganze Woche begleiten werden. Möge die Übung gelingen.

Service

Ausstellung, "meeting jedermann: rabinovich revisited", 28.2. - 26.5.2013, Jüdisches Museum Wien, 1010 Wien, Dorotheergasse 11

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Antonio Vivaldi/1678 - 1741
Titel: Der Frühling - Concerto Nr.1 in E-Dur op.8 RV 269
* Largo e pianissimo sempre - 2.Satz (00:02:37)
Album: DIE VIER JAHRESZEITEN
Anderer Gesamttitel: Le Quattro stagioni
Anderssprachiger Titel: La primavera
Solist/Solistin: Simon Standage /Violine < Gian Battista Rogeri, Brescia 1699 >
Orchester: The English Concert
Leitung: Trevor Pinnock
Ausführender/Ausführende: Trevor PINNOCK/16.12.1946 Canterbury, England
Länge: 02:00 min
Label: DG 4000452

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