Zwischenruf

von Pfarrer Michael Chalupka (Wien)

Österreich befindet sich bei der Besteuerung der Vermögen unter den 34 OECD-Staaten an der fünftletzten Stelle, wie wir jüngst lernen durften. Die wirklich Reichen hierzulande, könnten wir schlussfolgern, müssen so wenig abgeben von ihrem Reichtum, dass sie sicher nicht in den Himmel kommen. Denn: "Es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher ins Reich Gottes komme", heißt es im Markus-Evangelium. Und Kamele gehen durch kein Nadelöhr. Da hilft keine Diät!

Die Jesusbewegung ist eine Bewegung der Armen, und Gott steht auf ihrer Seite. Die Reichen haben nur eine Chance, wenn sie alles hergeben. Vielleicht will auch deswegen keiner reich sein. Jedenfalls wollen es die wenigsten zugeben. Das Vermögen ist in Österreich ungleich verteilt. Die ärmere Hälfte der Menschen besitzt nur 2,8% des Vermögens, während die reichsten 10% über 69% des Vermögens verfügen. Doch befragt man die Menschen, dann zählen sie alle zur Mittelschicht. Keiner will reich sein! Die Prämisse lautet: "Wir sind doch keine Kamele! Kamele sind immer die anderen!"

Auch die Kirche will kein Kamel sein! In seinem Roman "Jugend ohne Gott" lässt Ödön von Horvath einen Pfarrer dazu eine interessante Theorie entwickeln. Im Gespräch mit dem Ich-Erzähler kommt der Pfarrer darauf zu sprechen, dass eher ein Kamel durch das Nadelöhr geht, als dass ein Reicher ins Himmelreich kommt. "Und die Kirche? Wird die durch das Nadelöhr kommen?" fragt der Ich-Erzähler. "Nein", sagt der Pfarrer, "das wäre allerdings nicht gut möglich. Denn die Kirche ist ja das Nadelöhr." Welch geniale Interpretation: Die Kirche ist das Nadelöhr. Welch bequemer Gedanke. Wenn die Kirche das Nadelöhr ist, dann ist sie in der Position der Hüterin der Moral. Dann bestimmt sie, was durchgeht und was nicht. Dann verkündet sie ihre Soziallehre und muss sich keine Gedanken machen über ihren eigenen Reichtum. Die ganze Diskussion um die reiche Kirche, die der Limburger Bischof Tebartz-van Elst ausgelöst hat, können wir uns sparen. Die Kirche ist ja kein Kamel, das leider leider nicht durchs Nadelöhr geht. Sie ist das Nadelöhr!

Jesus rief das Wort vom Kamel und Nadelöhr einem reichen Jüngling zu. Der wollte ein gläubiges Leben führen. Sich von seinem Hab und Gut zu trennen, schaffte er aber nicht. Traurig wandte er sich ab. Doch Jesus sah ihn an und hatte ihn lieb! In den Augen Jesu war keine Verachtung für den Schwächling, kein Hochmut des moralisch Gerechten, der auf den Reichen herabsah. Jesus sah ihn an und hatte ihn lieb! Und doch diese schroffe Botschaft: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, denn ein Reicher ins Himmelreich! Sogar die Jünger waren erschrocken. So viel Liebe im Blick, so viel Strenge in der Stimme. Jesus antwortete den Jüngern: "Bei den Menschen ist's unmöglich, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott."

Diese Geschichte wurde den ersten christlichen Gemeinden erzählt. Sie waren aus einer Bewegung der Armen entstanden. Doch bald gab es Arme und Reiche - Witwen und Waisen, aber auch Händler und Beamte. Die frühchristlichen Gemeinden waren sozial durchmischt wie christliche Gemeinden heute. Um im Bild zu bleiben: Sie hatten von Anfang an Kamele unter sich!

Wie heute, inszenierten sich die Reichen auch im römischen Reich gerne als Mäzene. Spenden gehörte zum guten Ton. In den christlichen Gemeinden war das anders. Wer zur Gemeinde gehörte, wurde zur Hilfe verpflichtet - auch wenn er nicht zu den Reichen zählte. Alle gaben von dem, was sie hatten - die Reichen mehr, die Ärmeren weniger. Aber alle gaben etwas. Das verhinderte die Spaltung der Gemeinde in Geber und Nehmer. Wiederum in unserem Bild: Alle fanden sich auf der Seite der Kamele wieder!

Der Theologe Gerd Theißen spricht daher von einer Werterevolution in den frühchristlichen Gemeinden. Der Wert des Gebens, der sonst nur den Vermögenden vorbehalten war, wurde zu einem verbindenden Wert aller. Und auch Solidarität und Nächstenliebe, die unter den Armen lebendig waren, wurden zu Werten aller, der Habenichtse und der Wohlhabenden. So kam es zu einem Ausgleich. Zu einem Ausgleich und zu einer fairen Chance auch für die Reichen an der Gemeinschaft teilzuhaben.

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