Im Gespräch

"In der Frauenforschung sind wir jenseits eines Epochenbruches". Renata Schmidtkunz spricht mit Barbara Duden, Soziologin und Medizinhistorikerin

Johann Storch, besser bekannt unter seinem Berufsnamen Pelargus, war ein Arzt zur Mitte des 18. Jahrhunderts in der Lutherstadt Eisenach. Er hatte in Jena und Erfurt studiert und betrieb seinen Beruf - wie man im Deutschen Biografischen Lexikon von 1893 nachlesen kann - ohne große Erfolge, war aber allseits beliebt. Was ihn für unsere heutige Sendung, zu der ich Sie herzlich begrüße, interessant macht, ist die Tatsache, dass seine detaillierten Aufzeichnungen zu weiblichen Krankengeschichten der Beginn einer Pionierarbeit in der Geschichtsforschung war. Und mein heutiger Gast, die Historikerin und Soziologin Barbara Duden, hat diese Pionierarbeit in Form einer Doktorarbeit vorgelegt und mit dem Titel "Geschichte unter der Haut: Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730" versehen.

Das war 1986 in Berlin. Barbara Duden, geboren 1942 in Greifswald als Urenkelin des Sprachforscher Konrad Duden, hatte diese Aufzeichnungen durch Zufall in einer - wie sie sagt - Provinzbibliothek entdeckt. Und das Studium dieser bisher nicht bearbeiteten historischen Quelle ermöglichte ihr Aufschlüsse über die für die ärztliche Praxis seiner Zeit leitenden Vorstellungen vom Körper und Körperinneren der Frau. Duden, die eine universitäre und aktionistische Gallionsfigur der Frauenbewegung im Deutschland der 1970-er und 80-er Jahre war, begann also, sich mit der Geschichte des weiblichen Körpers und dem Umgang mit demselben im Laufe der Jahrhunderte zu beschäftigen.
Es folgten Veröffentlichungen zu Themen wie "Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Missbrauch des Begriffs Leben" oder "Körpergeschichte, ein Repertorium" oder "Anatomie der guten Hoffnung. Bilder vom ungeborenen Menschen in Anatomie-Atlanten zwischen 1500-1800 ".
Alles, was Frauen und ihren Körper betraf, musste von den feministischen Wissenschafterinnen der zweiten Frauenbewegung neu erforscht werden: wie war das mit den Geburtsritualen in früheren Zeiten, was wusste man schon zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft, und welcher Platz wird dem Frauenkörper in der technologisierten Welt der Gegenwart zugeordnet? Fragen über Fragen, die in der bis dahin überwiegend männlich dominierten Geschichtswissenschaft noch nicht Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses waren. Barbara Duden hat das geändert.
Sie lehrte an verschiedenen Universitäten in den USA, ab 1990 zunächst am Institut für Empirische Kulturwissenschaft und ab 1997 am Institut für Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Hannover.

Im Wintersemester 2013/14 lehrte Sie am Institut für Geschichtswissenschaften an der Universität Wien, an der sie übrigens in den 1960-er Jahren auch selbst studiert hatte.
Barbara Duden lebt in Bremen.

Service

Barbara Duden, "Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730", Klett-Cotta, Stuttgart 1987
Englische Übersetzung vonThomas Dunlap, "The Woman Beneath the Skin. A doctor's patients in eighteenth-century Germany", Harvard University Press, Cambridge, MA, London 1991

Barbara Duden, "Der Frauenleib als öffentlicher Ort. Vom Mißbrauch des Begriffs Leben", Luchterhand Essay Band 9, Luchterhand, Hamburg 1991
Englische Übersetzung von Lee Hoinacki, "Disembodying Women. Perspectives on pregnancy and the unborn", Harvard University Press, Cambridge, MA, London 1993
Italienische Übersetzung von Gina Maneri, "Il corpo della donna come luogo pubblico. Sull'abuso del concetto di vita", Bollati Boringhieri, Turin 1994
Französische Übersetzung von Jeanne Etoré, "L' invention du foetus. Le corps féminin comme lieu public", Descartes et Cie, Paris 1996

Barbara Duden, "Body History, a Repertory. / Körpergeschichte, ein Repertorium", Tandem Kultur- und Sozialgeschichte, Band 1, Tandem, Wolfenbüttel 1990

Barbara Duden "Anatomie der guten Hoffnung. Bilder vom ungeborenen Menschen 1500-1800", Klett-Cotta, Stuttgart 1996

Barbara Duden (Hg.) mit Uta von Winterfeld und Adelheid Biesecker, "Vom Zwischenruf zum Kontrapunkt. Frauen - Wissenschaft - Natur. Ein Frauenkongreß", Kleine Verlags-GmbH, Bielefeld 1997

Barbara Duden (Hg.) mit Jürgen Schlumbohm und Jacques Gelis, "Rituale der Geburt. Eine Kulturgeschichte", C.H.Beck, München 1998

Barbara Duden, "Die Gene im Kopf - der Fötus im Bauch. Historisches zum Frauenkörper", Offizin, Hannover 2002

Barbara Duden (Hg.) mit Jürgen Schlumbohm und Patrice Veit, "Geschichte des Ungeborenen. Zur Erfahrungs- und Wissenschaftsgeschichte der Schwangerschaft", Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Band 170, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002

Barbara Duden (Hg.) mit Dorothea Noeres, "Auf den Spuren des Körpers in einer technogenen Welt", Schriftenreihe der Internationalen Frauenuniversität "Technik und Kultur", Band 4, Leske und Budrich, Opladen 2002

Barbara Duden (Hg), "Geschichte in Geschichten. Ein historisches Lesebuch", Campus, Frankfurt am Main / New York, NY 2003

Angela McRobbie, "Top Girls: Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes", VS Verlag für Sozialwissenschaften, Auflage 26. März 2010

Laurie Penny, "Fleischmarkt: Weibliche Körper im Kapitalismus", Edition Nautilus

Sendereihe