Zwischenruf

von Landessuperintendent Thomas Hennefeld (Wien)

"Ich möchte die Gelegenheit nützen, dass ich auch ein Zeichen setze. Es wird Zeit, dass wir einfach aufstehen und zeigen, dass wir das nicht mehr hinnehmen. Man muss nicht mehr mitmachen. Ich werde einfach aufstehen, ich werde auf den Ballhausplatz gehen, ich werde mich dort hinsetzen, und ich gehe dort nicht mehr weg".

So sprach der Spitzenkandidat einer für das EU-Parlament wahlwerbenden Partei in der Pressestunde am letzten Sonntag und verließ das ORF-Studio. Mit dieser Handlung wollte er gegen die Politik der Regierung beim Umgang mit unseren Daten und mit unserem Geld protestieren.

Martin Luther hat sich im 16. Jahrhundert am Reichstag zu Worms geweigert, seine Schriften zu widerrufen. Ihm wurden die Worte in den Mund gelegt: Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Der EU-Spitzenkandidat handelte nach der Devise: Jetzt gehe ich, ich kann auch anders.

Das mag demokratiepolitisch bedenklich sein, wenn man sich der Diskussion verweigert, aber es hat auch etwas ausgesprochen Erfrischendes. Oft genug werden wir mit Worthülsen bombardiert, besonders in Wahlkampfzeiten, so auch im schon angelaufenen Wahlkampf für das Europäische Parlament. Der Spitzenkandidat wies darauf hin - solange er noch im Studio war - dass die Menschen den Politikern nicht mehr zuhören. Die Politik mache sowieso, was sie wolle.

Wie glaubwürdig solche wachrüttelnden Mahnungen von einem Mann sind, der nicht erst gestern in die Politik eingestiegen ist, im Europäischen Parlament saß und mit etablierten Parteien liebäugelte, kann jeder selbst entscheiden, bzw. wird sich erst in Zukunft weisen.

Aktionismus in der Politik ist nichts Neues, und wie wir wissen, dient er nicht immer der Sache sondern oft genug der Selbstinszenierung.

Aber die Idee an sich, Zeichen zu setzen, Ungewöhnliches tun, nicht einfach alles hinzunehmen, das hat auch etwas Protestantisches, ja das ist auch etwas sehr Biblisches. Gerade in der Bibel finden wir Männer und Frauen, die solche Zeichenhandlungen setzten. So erhält zum Beispiel der Prophet Jesaja von Gott den Auftrag, nackt und barfuß durch die Stadt Jerusalem zu laufen. Mit dieser Demonstration sollten die Menschen erkennen, dass es sinnlos ist, sich auf eigene Stärke und die militärischen Bündnispartner zu verlassen, sie würden am Ende so nackt und elend aussehen wie jetzt der Prophet.

Ein anderer Prophet, Ezechiel, muss sich mit Stricken fesseln, 390 Tage auf einer Seite liegen, bei Wasser und Brot, das in Menschenkot gebacken ist. So will Gott die Schuld des Volkes exemplarisch sichtbar machen und ihm seinen Ungehorsam vor Augen führen.
Das Entscheidende bei den alttestamentlichen Propheten war, dass sie nicht sich selbst in Szene setzten sondern das Wort Gottes inszenierten. Durch ihre Zeichenhandlungen haben sie die Botschaft Gottes mit Leben erfüllt.

In diesen Tagen feiert die Christenheit Ostern und denkt damit an das Leben, Leiden, den Tod und die Auferstehung Jesu. Auch Jesus hat als Mensch immer wieder Zeichen gesetzt, hat andere Menschen damit vor den Kopf gestoßen und Aufsehen erregt. Er hat sich angelegt mit den politischen und religiösen Machthabern seiner Zeit, was ihm schließlich das Leben kostete. Aber dabei blieb es nicht. Auf den Tod folgte die Auferstehung, Auferstehung ist nicht einfach etwas Jenseitiges. Vom Wort her ist es verwandt mit dem Begriff aufstehen, sich empören.

Auferstehung kann also auch heute mitten in unserem Leben möglich sein, überall dort, wo sich Menschen empören gegen Unrecht, Gewalt und Ausbeutung von Mensch und Natur und sich mit den Schwachen und Ausgegrenzten solidarisieren. Das Osterereignis sagt mir: Man kann auch aufstehen, man muss die Dinge nicht einfach hinnehmen. Es geht auch anders. Aufstehen und weggehen und etwas ganz anders machen, kann ein Publicitygag sein oder aber Menschen tatsächlich in Bewegung setzen. So können aus mutlosen Bürgern aktive und wache Gestalterinnen des Lebens und der Gesellschaft werden.

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