Radiodoktor - Medizin und Gesundheit

Little Helper - Missbrauch von Schlaf- und Beruhigungsmitteln

Als "mother's little helper" besangen die Rolling Stones in den 1960er-Jahren das höchst populäre Beruhigungsmittel Valium.
Über Jahrhunderte hinweg war die Forschung bemüht ein "ideales" Schlaf- und Beruhigungsmittel zu finden. Nun schien man am Ziel angelangt zu sein.
In der Geschichte der Entwicklung von Schlaf- und Beruhigungsmittel wurden zunächst pflanzliche Zubereitungen und Opium verwendet. Die erste chemisch hergestellte Substanzgruppe, die breite Anwendung fand, waren die Barbiturate. Bis in die 1950er Jahre wurden diese Medikamente als Schlaf- und Beruhigungsmittel verordnet. Allerdings hatten Barbiturate ein beträchtliches Suchtpotential und außerdem reichte bereits die 10-fache Normaldosis, um Selbstmord begehen zu können.

Auf der Suche nach ungefährlicheren Wirkstoffen stieß Leo Sternbach 1957 auf die Gruppe der Benzodiazepine. Diese Substanzen, auch als Tranquilizer bezeichnet, wirken gegen Schlafstörungen, Unruhezustände und Angst und die toxische Grenze ist sehr hoch. Entsprechend begeistert waren Psychiater, weil sie endlich wirksame und weitgehend ungefährliche Medikamente gegen Angststörungen zur Verfügung hatten.
Ab Beginn der 1960er Jahre wurden Benzodiazepine auch von Hausärzten freizügig verschrieben und damit begann die Epoche der Medikamentenabhängigkeit breiterer Schichten der Bevölkerung.

Zur Linderung von Schlafstörungen kommen derzeit Hypnotika, Tranquilizer, die Gruppe der Non-Benzodiazepine, Antidepressiva, Neuroleptika, psychotrope Substanzen, Antihistaminika, Dopaminergika etc. in Frage.
Millionen Packungen an schlaffördernden und beruhigenden Substanzen wandern jährlich über die Apothekentische. Völlig legal, auf Rezept und mit dem Sanktus der verschreibenden Ärzte. Unbeabsichtigte Nebenwirkung: Rund 130.000 Österreicherinnen und Österreicher gelten als "Tablettenabhängig".

Zunehmende Nervosität, Ängste und Schlafstörungen lassen viele Menschen zu Tranquilizern greifen. Immerhin leidet jede/r vierte Österreicher/in an Schlafstörungen. Bei fachgerechter Therapie sei jedoch die Gefahr, süchtig zu werden, verschwindend klein, wie unser Studiogast Gerda Maria Saletu-Zyhlarz, Leiterin des Schlaflabors am Wiener Allgemeinen Krankenhaus betont. Schließlich gibt es etwa 100 verschiedene Schlafstörungen, die differenziert zu behandeln seien.
Liegen die Ursachen von Schlafstörungen jedoch in einer erhöhten psychischen Belastung, so bringen pharmazeutische Helferleins nur kurzfristig Linderung. Dann steigt die Gefahr des Missbrauchs dieser Medikamente mit der Notwendigkeit, die Dosis zu steigern.
Außerdem werden Tranquilizer zur Verstärkung der beruhigenden Wirkung fataler Weise oft mit Alkohol kombiniert.

Dieses Mal diskutiert Univ.-Prof.in Dr.in Karin Gutiérrez-Lobos mit ihren Gästen über die Gefahr, von Beruhigungs- und Schlafmitteln abhängig zu werden und über Alternativen für ein entspannteres Leben und einen gesegneten Schlaf.

Eine Sendung von Dr. Ronny Tekal.
Redaktion: Dr. Christoph Leprich

Service

Dr. Harald P. David (Facharzt für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapeut)
Univ.-Prof.in Dr.in Gerda Saletu-Zyhlarz (Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, Leiterin der Schlafambulanz, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie AKH Wien)
Österreichische Gesellschaft für Suchtmedizin
Anton Proksch Institut/Stiftung Genesungsheim Kalksburg, Therapiezentrum für Alkohol- und Medikamentenabhängige
MedUni Wien - Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Jedmayer (Einrichtung der Suchthilfe Wien)
Schweizer Haus Hadersdorf (Stationäre, dezentrale und ambulante Drogentherapie)
Psychosozialer Dienst Burgenland GmbH
Krankenhaus de La Tour der Evangelischen Stiftung Treffen - Offene Therapiestation zur Behandlung von Abhängigkeiten
Niederösterreichische Landesregierung/Jugendsuchtberatungsstellen
Wagner-Jauregg Nervenklinik Linz, Psychiatrie 5/Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen
Amt der Salzburger Landesregierung/Referat 3/04, Sozialmedizinischer Dienst
Salzburger Universitätsklinikum, Christian-Doppler-Klinik Salzburg, Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie II
b.a.s. - Betrifft Abhängigkeit und Sucht, Steirische Gesellschaft für Suchtfragen
Landesnervenklinik Sigmund Freud Graz, Zentrum für Suchtmedizin
Verein BIN - Beratung, Information, Nachsorge, Zentrale und Beratungsstelle Innsbruck Land
Sozialmedizinischer Dienst der Caritas Diözese Feldkirch
Krankenhaus Stiftung Maria Ebene
Liste der Schlaflabore in Österreich
Netdoktor zu Medikamentenabhängigkeit
Allgemeine Hospitalgesellschaft Deutschland zu Tablettensucht

Ernst Pallenbach, "Die stille Sucht: Missbrauch und Abhängigkeit bei Arzneimitteln",
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2009

Ralf Schneider, "Die Suchtfibel: Wie Abhängigkeit entsteht und wie man sich daraus befreit", Schneider Verlag Hohengehren 2010

Sendereihe