Gedanken für den Tag

von Amena Shakir, Islamwissenschafterin und Politologin."Als wüssten wir, was uns erwartet" - Gedanken zur islamischen Pilgerfahrt. Gestaltung: Alexandra Mantler

Arafat - ein Tag, der das Leben verändert

Wenn ich in diesen Tagen und Wochen stets von neuem von Krieg und Gewalttaten höre, die - leider oft im Namen von Religion, auch meiner eigenen - begangen werden, dann wird sie immer größer, diese Sehnsucht nach Frieden und nach gegenseitigem Respekt.

Woran Völker im Großen scheitern, spiegelt sich oft genug im Kleinen, Alltäglichen. Gerade diese Tage, an denen der Hadsch, die islamische Pilgerfahrt stattfindet, sind ein guter Anlass für einen persönlichen Neubeginn. Von einem Hadsch kommt ein jeder Mensch so zurück, wie ihn seine Mutter geboren hat - ganz unschuldig und ohne Sünden. So sagt es ein Ausspruch des Propheten Muhammad, Friede sei mit ihm. Während des Hadsch überdenkt nämlich eine jede und ein jeder sein eigenes Leben wieder und immer wieder; hinterfragt die alltäglichen Strukturen und ihre Sinnhaftigkeit, denkt nach über die Lebenszeit, die schon vergangen ist und darüber, wie die noch verbleibende Zeit bestmöglich erlebt werden könnte. Dabei spielt ein bestimmter Tag eine ganz große Rolle, schildert Murad Wilfried Hofmann in seinem Buch "Reise nach Mekka":

"Am Vorabend des allentscheidenden "Tages von Arafat" sind alle Pilger nervös. Die Anwesenheit auf der Ebene von Arafat, rund um den steinigen Hügel gleichen Namens, ist für die Gültigkeit des Hadsch Ausschlussbedingung, conditio sine qua non. Still betet jeder, dass doch jetzt bitte nichts mehr dazwischenkommen möge! Endlich sind wir alle da, mehr als zwei Millionen Menschen, in Leichengewänder gekleidet wie am Tag der Auferstehung, und rufen: "labbayk, allahuma, labbayk!" "Hier bin ich, hier sind wir, zu Deiner Verfügung!" Wo sonst erlebt man eine auch nur ähnliche Intensität von Anbetung und Hingabe?
Am späten Nachmittag wird über einen Lautsprecher die Predigt verlesen, die Muhammad im Jahre 632 während seiner "Abschiedspilgerfahrt" gehalten hat. Ich teile mein kleines Zelt mit einem amerikanischen Professor für Wirtschaftsstatistik von der Georgetown University. Stunde um Stunde beten, diskutieren und kontemplieren wir. In Gedanken lassen wir unser ganzes Leben noch einmal abrollen und spüren, dass es heute seinen eigentlichen Sinn und Höhepunkt gefunden hat."

Murad Wilfried Hofmann erzählt in seinem Buch "Reise nach Mekka" von seinen persönlichen Empfindungen und Eindrücken des Hadsch. Aber auch ich hier, die ich nicht in Mekka bin, kann mich davon berühren lassen und mich einen einzigen langen Tag zurückziehen und nachdenken über das vergangene und das zukünftige Leben. Denn die Chance für ein Reset, für einen Neustart, die sollte man sich nie entgehen lassen. Im Kleinen, wie im Großen.

Service

Alexander Tschernek

Buch, Muhammad Asad, "Der Weg nach Mekka", Verlag Patmos
Buch, Ilija Trojanow, "Zu den heiligen Quellen des Islam. Als Pilger nach Mekka und Medina", Malik-Verlag
Buch, Charles Le Gai Eaton, "Der Islam und die Bestimmung des Menschen", Verlag Hugendubel
Buch, Murad Hofmann, "Reise nach Mekka", Diederichs Verlag

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Wolfgang Amadeus Mozart
Titel: Serenade Nr.7 in D-Dur KV 250 (248b)
* Menuetto. Trio - 3.Satz (00:03:31)
Populartitel: Haffner Serenade
Solist/Solistin: Thomas Zehetmair /Solo - Violine
Orchester: Staatskapelle Dresden
Leitung: Nikolaus Harnoncourt
Länge: 02:00 min
Label: Teldec 843062

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