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Patriarch und Präsident. Die politische Rolle der Orthodoxie in Russland. Gestaltung: Brigitte Voykowitsch

Nach dem Zerfall der Sowjetunion etablierte sich die Orthodoxe Kirche in Russland rasch als ein wichtiger politischer Akteur. Kein großes staatliches Zeremoniell findet ohne den Patriarchen statt. Der Patriarch, derzeit Kyrill I., gilt als Machtstütze von Kremlchef Wladimir Putin. Bei allen bedeutenden Entwicklungen - bei der Annexion der Krim ebenso wie im Ukraine-Konflikt - beobachten politische Analyst/innen daher stets auch die Reaktionen des Patriarchen. Der bescheinigte Putin vor einigen Jahren "eine großartige Rolle bei der Korrektur des Laufes unserer Geschichte", heißt aber dennoch nicht alle Handlungen des Präsidenten hundertprozentig gut.

Die enge Verflechtung zwischen Herrscher und Kirche ist in Russland nichts Neues, sie reicht weit in die Geschichte des Zarenreiches zurück und wurde nur durch 70 Jahre Sowjetunion unterbrochen. Die Orthodoxe Kirche ist die größte Religionsgemeinschaft in Russland. Expert/innen weisen allerdings auf die großen Unterschiede zu vergangenen Jahrhunderten hin. Umfragen belegen, dass nur eine Minderheit der Russ/innen regelmäßig Messen besucht, aber eine große Mehrheit die Kirche für einen zentralen Teil der russischen Identität und Nation hält. Dies erklären Wissenschafter/innen damit, dass die Russländische Föderation sich seit 1991 in einem schwierigen Transformationsprozess ohne klare Ideologie, ohne wahre Demokratie und mit wenig vertrauenswürdigen Institutionen befindet. Die Kirche soll da durch ihre Werte und Normen einen Beitrag zur Identitätsstiftung und Integration der Gesellschaft leisten. Von der Orthodoxie, die stets extrem hierarchisch gegliedert war, sind allerdings kaum Beiträge zu einer demokratischen politischen Kultur und einer modernen Zivilgesellschaft zu erwarten. Die traditionellen Werte, die Putin und der Patriarch immer wieder beschwören, widersprechen eher heutigen Menschenrechtsstandards.

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