Gedanken für den Tag

von Cornelius Hell, Literaturkritiker und Übersetzer. "Es ist die Seele ein Fremdes auf Erden" - Zum 100. Todestag des Dichters Georg Trakl. Gestaltung: Alexandra Mantler

"Man könnte mich vielleicht undankbar schelten, unter diesem wunderbaren reinen Himmel der Heimat so zu sprechen - aber man tut gut daran, sich gegen vollendete Schönheit zu wehren, davor einem nichts anderes erübrigt als ein blödes Schauen. Nein, die Losung ist für unsereinen: Vorwärts zu Dir selbst!"

Diese Sätze aus einem Brief von Georg Trakl treffen mich nicht nur, weil die Heimat, die darin angesprochen wird, meine Geburtsstadt Salzburg ist, vor deren vielgepriesener Schönheit ich einmal glaubte fliehen zu müssen.

Sondern weil ich auch in der Literatur und Kunst skeptisch bin gegen eine harmonische Schönheit, die mich eher zum Verstummen bringt als meine eigenen Worte finden lässt.

"Vorwärts zu Dir selbst!" Georg Trakl ist dieser Losung in den wenigen Jahren, die er hatte, radikal gefolgt. So sind unverwechselbare Gedichte von einer dissonanten Schönheit entstanden - einer Schönheit, die auf dunklem Grunde leuchtet, wie der Trakl-Biograph Hans Weichselbaum einmal schreibt.

Immer wieder sind diese Gedichte zu einer Provokation geworden, die andere vorwärts zu sich selbst gebracht hat. Am eindrücklichsten hat das der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann in seinem Essay "Vor Feuerschlünden" bezeugt. Fühmann war in seiner Jugend ein gläubiger Nationalsozialist und später ein gläubiger Kommunist. Trakls Bildwelt war mit seinen Überzeugungen nicht vereinbar, aber sie ließ sich nicht abweisen und war stärker. Mittlerweile ist die DDR seit 25 Jahren Geschichte und Franz Fühmann seit 30 Jahren tot, aber wie er Trakls Gedichte interpretiert und in den Zusammenhang des eigenen Lebens stellt, geht immer noch unter die Haut. Trakl hat Fühmann auf den Weg der Wahrheit gebracht - keiner pathetischen Wahrheit, die man in ideologischen Grundsätzen proklamieren kann, sondern der Wahrheit des eigenen Lebens und der eigenen Bilder.

"Vorwärts zu Dir selbst!" Trakls Gedichte sind aus dieser Losung entstanden, und sie haben die Kraft, einen auf diesen Weg zu stoßen.

Service

Werke von Georg Trakl:

Sämtliche Gedichte. Insel Verlag 2014

Das dichterische Werk. Deutscher Taschenbuch Verlag

Werke, Entwürfe, Briefe. Hrsg. v. Georg-Hans Kemper und Frank R. Max. Reclam Verlag


Werke über Georg Trakl:

Hans Weichselbaum: Georg Trakl. Eine Biographie. Otto Müller Verlag 2014

Rüdiger Görner: Georg Trakl. Dichter im Jahrzehnt der Extreme. Paul Zsolnay Verlag 2014


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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Erik Satie/1866 - 1925
Album: JOANNA MACGREGOR SPIELT ERIK SATIE
Titel: Ragtime Parade
Solist/Solistin: Joanna Macgregor /Klavier
Länge: 02:00 min
Label: Collins 10532

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