Gedanken für den Tag

von Johanna Schwanberg, Leiterin des Wiener Dommuseums. "Verletzbarer Meister des Plakativen" - Zum 150. Geburtstag von Henri de Toulouse Lautrec. Gestaltung: Alexandra Mantler

Eine junge Frau im Profil blickt nachdenklich aus dem Fenster. Sie hat zurückgebundene, kupferrote Haare. Die Augen sind durch die Stirnfransen verdeckt. Die weiße Bluse steht im starken Kontrast zu den grellen Haaren. Auffällig ist die große, nahezu maskuline Hand im Vordergrund, die sich auf einen Tisch aufstützt. "Die Wäscherin" nennt sich das 1886 entstandene Gemälde des französischen Fin-de-Siecle-Malers Henri de Toulouse-Lautrec. In seiner Schlichtheit ist es eine der herausragendsten Frauendarstellungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Derzeit ist die rothaarige Schönheit in einer Ausstellung zum 150. Geburtstag des Künstlers im Kunstforum Wien zu sehen.

Mich fesselt dieses Bild. Zum einen, weil es viel über den eigenwilligen Toulouse-Lautrec und sein Verhältnis zu Modellen aus sogenannten niederen Gesellschaftsschichten erzählt. So soll er dem jungen Mädchen in Arbeitergewand am Montmartre begegnet sein und bald darauf seiner Mutter geschrieben haben: "Ich male eine Frau, die wirklich goldene Haare hat." Toulouse-Lautrecs Bilder geben Einblicke in die soziale Situation von arbeitenden Frauen in der Pariser Nachtwelt der Theater, Varietés und Bordelle. Mit scharfem, psychologisch feinsinnigem Auge zeichnet er deren Lebens- und Arbeitsumfeld. Aber ohne den voyeuristischen Blick, der vielen Malern der Kunstgeschichte eigen ist. Vielmehr verleiht er den von ihm dargestellten Frauen eine besondere Würde in all der Ungeschminktheit, mit der er sie zeichnet.

"Die Wäscherin" wirkt durch die starke Hand und den bestimmten Blick, der sich den Betrachtern entzieht, als emanzipierte Frau. Das gefällt mir. Mir gefällt aber noch ein weiterer Aspekt, den dieses Bild einfängt. Toulouse-Lautrec stellt hier etwas dar, was ungemein wichtig ist. Es findet im Trubel des Alltags und Arbeitslebens - zumindest bei mir - jedoch viel zu selten statt. Er zeichnet den Moment des Innehaltens. Des Unterbrechens eingefahrener Abläufe und des Nachdenkens darüber, ob das was man tut, das Richtige ist.

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Sendereihe

Playlist

Komponist/Komponistin: Serge Gainsbourg/1928 - 1991
Album: BABY ALONE IN BABYLONE
Titel: Fuir le bonheur de peur qu'il ne se sauve
Solist/Solistin: Jane Birkin /Gesang m.Begl.
Länge: 02:00 min
Label: Philips 8145242

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