Tonspuren

Der Wortprozessor. Ein Gespräch mit Kenneth Goldsmith, dem langweiligsten Dichter aller Zeiten. Feature von Claudia Gschweitl

In seinen Büchern "The Weather", "Traffic" und "Sports" hat der New Yorker Schriftsteller Kenneth Goldsmith jeweils ein Jahr lang Wetterberichte, Verkehrs- und Sportnachrichten transkribiert. "Fidget" ist eine genaue Dokumentation von allen Bewegungen, die der Dichter innerhalb eines Zeitraums von 13 Stunden gemacht hat, und in "Soliloquy" hat er eine Woche lang jedes einzelne von ihm gesprochene Wort notiert.

Die Bücher von Kenneth Goldsmith gehören zweifellos zu den langweiligsten, die je geschrieben wurden. Man muss sie auch nicht lesen, denn worauf er abzielt, ist der Akt des Schreibens selbst. Goldsmiths Schriften gehören zu jener Art von neuer Konzeptliteratur, die sich jenseits von herkömmlicher Autorenschaft bewegt und mit Strategien wie Entwendung, Aneignung und Überschreibung arbeitet. Warum dem bestehenden Berg an Literatur noch etwas hinzufügen, wenn man auch mit dem vorhandenen Material arbeiten kann, so die Überlegung.

An der Universität von Pennsylvania unterrichtet Kenneth Goldsmith die Fächer "Unkreatives Schreiben" und "Zeitverschwenden im Internet" und belohnt dort seine Studenten für Plagiate und Identitätsdiebstahl. Denn während in der Musik und der bildenden Kunst Recycling-Methoden wie Remixe, Mashups oder Collagen längst alltäglich sind, pocht man in der Literatur nach wie vor auf das Copyright und die Idee einer authentischen Autorenschaft. Goldsmith hat sich von solchen Einschränkungen längst gelöst. Das Internet stellt für ihn das "größte Gedicht aller Zeiten" dar, sein Versuch es in seiner Gesamtheit auszudrucken, blieb bis jetzt allerdings unvollendet.

Goldsmith gilt vielen als führender Konzeptdichter unserer Zeit, als "James Joyce des 21. Jahrhunderts". Vom New Yorker Museum of Modern Art wurde er 2013 als erster Dichter überhaupt ausgezeichnet.

Sendereihe

Gestaltung